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Testbericht

10. Januar 2008
Haar, 10. Januar 2008 – Schon wieder zieht ein Junge seine Mutter zielstrebig am Ärmel. „Zu dem kleinen Auto da.“ Die Mutter gehorcht, beguckt neugierig die Entdeckung ihres Sprösslings: Meinen Lotus Europa S. Kindern fällt der Wagen sofort auf, fröhlich winken sie ins Auto und staunen dem Briten hinterher. Für die Kids wird ein Traum war: Das Matchbox-Modellauto ist endlich fahrbar. Und genauso geht es mir. Allein das Einsteigen könnte bei einem echten Matchbox nicht schwieriger sein. Es gibt einfach keine Position, in der man sich auch nur halbwegs elegant in den Wagen fädeln kann. Die Türöffnung ist klein, das Dach niedrig und das Lenkrad wegen seiner Nichtverstellbarkeit im Weg. So wird das Ein- und Aussteigen vor großen Zuschauermengen zu einem riskanten Unterfangen. Fällt sympathisch auf Warum erscheint mir der Opel Astra neben mir beinahe so groß wie ein SUV (Sports Utility Vehicle)? Warum tut die Frau im Wagen hinter mir so, als müsste sie eine Blüte im Gras mit ihrem Handy fotografieren? Weil der Lotus Europa S gerade mal hüfthoch ist. Zudem ist er die optisch rundeste, gefälligste Variante aller Lotus-Modelle. Dazu passt der Name „Europa“ ganz prima - schließlich erscheint den Engländern nichts so weit weg wie das europäische Festland. Die anderen Modelle, die Elise und der Exige, sind extrovertierter gezeichnet, wobei der Exige ja eigentlich nur eine Elise mit festem Dach ist. Was das Einsteigen angeht, sind die beiden optisch mutigeren Brüder übrigens noch härtere Brocken als der Europa.

Im krummen Leder Habe ich es erst mal hinein geschafft, umgibt mich aufpreispflichtiges braunes Leder, wie es mal einer abgewetzten Fliegerjacke gehört haben könnte. Dieses Leder zieht sich auch über die Innenseite des Dachs. Dort oben wurde sogar eine Tasche eingenäht, eine Parkscheibe würde dort hineinpassen. Eine weitere Tasche, diesmal mit uriger Schnalle, schmiegt sich auf der Beifahrerseite an die Mittelkonsole. Und die Nähte wirken alle ein bisschen verwackelt, genau richtig, um nicht als uncool durchzugehen. Radio Days Und mit der Coolnes geht es weiter: Die Instrumentenbeleuchtung erfolgt quasi direkt, Zeiger und Zahlen werden schummerig angestrahlt. Das wirkt wie bei einem alten Radio und dürfte selten geworden sein im Fahrzeugmarkt. Die Außenbeleuchtung wird über kleine, links neben dem Tacho sitzende Druckknöpfe zugeschaltet. Links neben dem Kupplungspedal vermisse ich dagegen einen Abstellplatz für meinen Fuß. Hier wirkt der Europa so, als hätte man ihn von einer Automatik-Schaltung (die nicht angeboten wird) auf eine Handschaltung umgerüstet. Allerdings gewöhne ich mich schnell daran, meinen linken Fuß mit angezogenem Bein auf den Boden zu stellen - so schnell gebe ich nicht auf, wenn es darum geht, einen Reise-Wagen von Lotus zu erfahren. Spiegelein, Spiegelein im Heck Die Insassen werden vor dem Motorraum im Heck von einer senkrecht stehenden, glattpolierten Plexiglasscheibe geschützt. Im Dunkeln offenbart sie ihre Nachteile: Die Beleuchtung von Radio und Klimaanlage wird von dieser Zwischenscheibe direkt in den Rückspiegel reflektiert. Wer damit noch leben kann, wird beim Rückwärtseinparken nochmals herausgefordert: Die Plexiglas-Trennwand spiegelt so stark, dass man sich den Blick nach hinten getrost schenken kann – Einparken mit Außenspiegel-Unterstützung wie beim LKW ist hier angesagt. Und wenn man zu zweit in der Kabine sitzt, ist es seitlich ohnehin recht eng, viel Platz sich umzudrehen bleibt nicht. Zudem ist der Beifahrersitz in der hintersten Position fixiert, nach vorne verstellen lässt er sich nicht.

Weg mit den Sonnenblenden Und die Skurrilitäten im Innenraum des Briten wollen einfach nicht aufhören. Da gibt es noch die putzigen Sonnenblenden. Diese kleben direkt an der Frontscheibe und nehmen mir viel Sicht nach oben. Wenn ich an der Ampel in der Pole-Position stehe, muss ich das Seitenfenster bemühen, um den Wechsel der Lichter sehen zu können – wer will, kann die Sonneblenden seitlich abziehen. Der im Heck befindliche Kofferraum des Europa S lässt sich nur mit dem Schlüssel öffnen. Er ist mit 154 Liter der Größte in der Lotus-Modellpalette. Elise und Exige müssen mit 112 Liter auskommen. Ein Trolley passt gut hinein, aber insgesamt ist der Stauraum natürlich sehr klein geraten. Alternativ-Fahrzeuge (echte Konkurrenten hat der Europa S nicht) wie das BMW Z4 Coupé (340 Liter) oder der Alfa Romeo Brera (300 Liter) bieten deutlich mehr Platz im Heck. Zumal ein Aufkleber am Heckdeckel deutlich warnt: Nur 50 Kilogramm Gepäck dürfen mit. Das Fröhlich-Sympathische am Koffer-Abteil: Eine Reihe von urigen Ledertaschen wartet auf Kleinkram. Hart auf Reisen Wer wirklich geglaubt hat, der Europa S sei tatsächlich so was wie ein Reisewagen, der wird schon nach den ersten Metern Fahrt eines Besseren belehrt: Der Wagen ist richtig hart, um keine Nuance weicher als seine Basis namens Elise. In bergigen Kurven ist dies ein Gedicht, ohne Wanken zischt der leichte Wagen um die Spitzkehren. Das Momo-Lenkrad ist schön klein und beherbergt trotzdem einen Airbag. Auch auf der Beifahrerseite sitzt ein rettender Luftsack in der Reserve. Allerdings ist Lenken im Stillstand absolute Schwerstarbeit: Servounterstützung gibt es nicht einmal gegen Aufpreis. Die rechts und links in den Lenkradspeichen untergebrachten Knöpfe für die Hupe sind ebenfalls Gewöhnungssache. Die Bremsen brauchen richtig guten Pedal-Druck, bringen dann aber das Leichtgewicht wohldefiniert zum Stillstand. Kurz und gut: Wer mit dem Lotus Europa S oft unterwegs ist, wird bald schön durchtrainiert sein.

Offensichtlich: Der Motor Während Elise und Exige mit Toyota-Motoren unterwegs sind, rackert unter der Heckscheibe im Europa S ein leicht modifiziertes Zweiliter-Aggregat von Opel. Ursprünglich tat die Maschine im wegen Erfolglosigkeit längst verflossenen Opel Speedster ihren Dienst. Zum Gran-Turismo-Lotus passt sie gut. Da der Wagen gerade mal 955 Kilogramm wiegt, reichen die 200 PS und 272 Newtonmeter Drehmoment, um den Wagen in 5,8 Sekunden auf Tempo Hundert zu bringen. Und lasse ich es dabei bewenden, bin ich im sechsten Gang äußerst angenehm unterwegs. Jetzt noch eine glatte deutsche Autobahn als Unterlage, und der Europa S lässt tatsächlich Reisequalitäten durchblitzen. Apropos Blitzen: Das niedliche Gefährt lässt sich bis 230 km/h hochdonnern. Unterhaltungen sind im Innenraum ab 4.000 U/min kaum noch möglich, so viel Schall hält die Plexiglasscheibe nicht ab. Und kultig klingt das Aggregat leider nicht, ein vollkommen durchschnittliches Motorengeräusch macht sich an unser Trommelfell. Mechanik-Feeling Trotzdem, in den Bergen ist Europa fahren wie Motorrad fahren. Die Gänge lassen sich per abgefahrenem Holz-Schaltknauf genau in ihre Position ziehen. Dabei knackt es im Mitteltunnel, ein anheimelndes Mechanik-Gefühl wandert über meine Schalthand direkt ins Herz, was einen entspannt-versonnenen Gesichtsausdruck zur Folge hat. 9,3 Liter Super verbrät der Kleine auf 100 Kilometer, 220 Gramm Kohlendioxid müssen pro Kilometer raus. Ein nicht gerade rosiger Wert: Das BMW Z4 Coupé 3.0si hat 65 PS mehr und kommt mit 207 Gramm CO2 aus. Der Alfa Brera 2.2 JTS gibt aber bei 15 PS weniger ein Gramm CO2 mehr pro Kilometer ab. Da haben wir den Unterschied zum Matchbox: Der kommt ganz zukunftsorientiert ohne CO2-Ausstoß aus.
Technische Daten
Antrieb:Heckantrieb
Anzahl Gänge:6
Getriebe:Schaltgetriebe
Motor Bauart:Reihen-Ottomotor
Hubraum:1.998
Anzahl Ventile:4
Anzahl Zylinder:4
Leistung:147 kW (200 PS) bei UPM
Drehmoment:272 Nm bei 5.000 UPM
Preis
Neupreis: 50.300 € (Stand: Januar 2008)
Fazit
ACBC ist im Lotus-Emblem verewigt, das Initial von Lotus-Gründer Anthony Colin Bruce Chapman. Dieser Mann führte seine Autos absichtlich auf den Kreuzigungsplatz des Komforts, um so viel wie möglich Fahrspaß zu generieren. Der Lotus Europa S macht da keine Ausnahme. Das einzige, was er an Mehrkomfort gegenüber seinen Modellgeschwistern bieten kann, ist das etwas bessere Platzangebot. Seine zivilere Form macht ihn zum exotischsten Lotus, also zu einem Exoten unter den Exoten. Hübsch, wendig, hart – und mit 50.300 Euro Einstiegspreis sehr teuer – muss er gegen deutlich preiswertere Alternativen wie das 265 PS starke BMW Z4 Coupé 3.0si zu 40.700 Euro und den 185-PS-Alfa-Romeo-Brera-2.2-JTS zu 33.050 Euro antreten. Wer knackende Technik, extreme Exklusivität und einfach britische Autos mag, wird allerdings mit dem Europa S schnell glücklich werden.
Testwertung
3.5 von 5

Quelle: auto-news, 2008-01-10

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