Cabrio-Dächer - Fester Helm oder luftige Mütze
Stoffverdeck oder Stahlklappdach? Für viele Cabriofahrer eine Glaubensfrage, für andere eine rein praktische Erwägung. Nachdem das klappbare Hardtop seit Ende der 90er-Jahre scheinbar einen Verdrängungswettbewerb anzettelte, kommt seit einiger Zeit auch wieder das Stoffdach häufiger zum Einsatz. Vor allem in der Kompaktklasse hat der Kunde die freie Wahl.
Eine Weile lang schien das Stoffdach-Cabrio ein Auslaufmodell zu sein. In der absatzstarken Kompaktklasse etwa war Ende des vergangenen Jahrzehnts zeitweise kein einziges Modell mit klassischer Mütze mehr zu haben. Alle setzten auf das Stahl-Klappdach. Doch das Blatt hat sich gewendet: Nicht zuletzt mit dem neuen VW Golf Cabrio feiert das klassische Verdeck Renaissance.
Die kompakte Cabrio-Klasse bei VW ist damit nun doppelt besetzt. Anders als das Stahldach-Modell VW Eos nimmt der offene Golf die Tradition der Stoffmütze wieder auf und verzichtet zudem noch auf den prägnanten Überrollbügel des Vorgängers, der Anlass für den Spitznamen „Erdbeerkörbchen“ gewesen ist. Zum Schutz der Insassen schnellen stattdessen hinter den Fondsitzen verborgene Bügel hervor. Zusammen mit Audi A3, BMW 1er, dem künftigen VW Beetle Cabrio und dem kommenden Opel Astra Cabrio gibt es bald wieder eine große Stoffdachauswahl unterhalb der Mittelklasse.
Denn je größer und luxuriöser ein Cabrio ist, desto weniger eignet sich ein metallenes Klappdach. Besonders in der Liga eines BMW 6er, einer Mercedes E-Klasse oder gar des Bentley Continental war Stahl nie eine Option. Denn die Nachteile des Dachkonzepts potenzieren sich mit wachsender Fahrzeuggröße. Vor allem Gewicht wird ein Problem, aber auch die pure Größe der mehrteiligen Metallkonstruktion. Schon bei kompakten Cabrio-Modellen führt der zusätzliche Platzbedarf für das geklappte Dach im Kofferraum zu verzerrten Proportionen. Während Käufer eines mittelpreisigen Modells ein Pummelheck vielleicht noch in Kauf nehmen, wären Fahrer eines Oberklasse-Modells wohl nicht dazu bereit.
So gibt auch BMW beim neuen 6er-Cabrio wieder Stoff. Das Verdeck spannt sich straff und deutlich eleganter über die vier Sitze als das einer Stahlkonstruktion könnte. Als optische Zugabe läuft der Stoff in Form zweier charakteristischen Finnen zum Heck hin aus. Gut gefüttert und gedämmt dürfte das Verdeck auch Fahrten im Winter nicht zum Problem werden lassen. Dafür verlangen die Bayern aber einen gepfefferten Preis: Mindestens 83.300 Euro werden für das „Basis“-Modell mit dem 235 kW/320 PS starken V6-Benziner fällig. Wer den V8 mit 300 kW/407 PS wählt, ist mit 94.300 Euro dabei. Gegenüber dem vergleichbaren 6er Coupé entspricht das einem Aufschlag von 8.600 Euro.
Während es mit dem Stoffverdeck wieder aufwärts geht, schrumpft die Auswahl an Stahldachmodellen. So blieben etwa Nissan Micra C+C, Mitsubishi Colt CZC und Daihatsu Copen ohne Nachfolger. Und auch Opel hat Corsa und Astra Twin Top längst wieder aus dem Programm genommen.
Gescheitert ist die Stahldach-Revolution deswegen nicht, es gibt immer noch zahlreiche Vertreter der Klappdach-Philosophie. Allen voran der Mercedes SLK, der 1996 den Trend erst begründete. In der neuen Generation schöpft er einen der Vorteile des Stahldach-Konzepts voll aus: das integrierbare Glasdach. Anders als bei Stoffdachmodellen, wo es nur „offen“ oder „geschlossen“ gibt, ist so nämlich auch eine Art Zwischenzustand möglich: Klarer Blick in den Himmel ohne Zugluft und Regengefahr. Als Schutz gegen starke Sonneneinstrahlung gibt es aber nicht etwa ein schnödes Rollo, sondern brandneue Hightech. Die Lichtdurchlässigkeit des Glases kann einfach per Knopfdruck verstellt werden, durch das Anlegen elektrischer Spannung dunkelt das neuartige Material nach oder wird komplett transparent. Billig ist die spektakuläre Technik aber nicht: der Aufpreis beträgt 2.368 Euro. Der Roadster selbst schlägt in der 135 kW/184 PS starken Vierzylinder-Basisversion mit 38.675 Euro zu Buche.
Zahlreiche andere Hersteller folgten. Selbst BMW strich bei 3er Cabrio (38.800 Euro) und Z4 (ab 36.400 Euro) das traditionelle Stoffverdeck. Und auch die Franzosen setzten geschlossen auf das Stahldach – bis heute. Vorteile wie die ausgesprochene Ganzjahrestauglichkeit und der Schutz vor Vandalismus wiegen bei den Kompaktmodellen höher als schicke Optik, geringes Gewicht und sportliches Fahrverhalten. So trägt neben dem Peugeot 308 CC (ab 25.950 Euro) auch der Mitte vergangenen Jahres komplett erneuerte Renault Megane CC (ab 24.990 Euro) das Stahlverdeck. Eine Klasse tiefer wartet seit kurzem der Roadster Renault Wind (ab 16.900 Euro) mit schwenkbarem Hardtop auf; der einteilige Dach-Deckel schwingt komplett nach hinten und legt sich auf dem Kofferraum ab.
Mit dem Stahldach ist das Cabrio zum Ganzjahresauto geworden. Doch das Stoffverdeck hat dank neuer Materialien und verbesserter Technik aufgeholt. Nun existieren beide Oben-ohne-Philosophien erstmals einträchtig nebeneinander – zum Vorteil des Kunden.
Quelle: Autoplenum, 2011-07-07
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