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Testbericht

Jürgen Wolff, 8. Oktober 2013
Der neue Vantage S ist das schnellste Serienauto, das Aston Martin derzeit im Angebot hat: 328 km/h schnell, 573 PS stark und knapp 180.000 Euro teuer. Der Suchtfaktor gehört zum Lieferumfang.

Man hätte gewarnt sein können. "Er ist elegant, aber brutal", hatte Ulrich Bez schon bei der ersten statischen Vorstellung verkündet. Und der Aston Martin-Chef hat recht: Unbarmherziger geht unter dem Logo der zwei Schwingen nur noch der Über-Sportler One 77 mit seinen Passagieren zur Sache. Das wird einem schon dann klar, wenn der knallgelbe Brite einfach nur vor einem steht. Kompromisslos sportlich in der Linie, ein schwarz lackiertes Gitter im Carbon-Rohrrahmen vor dem Frontkühler, vier üppige Abluftkiemen aus Carbon auf der langen Motorhaube, riesige gelochte Carbon-Keramik-Bremsscheiben, die aggressiv durch die zehn Speichen der Alufelgen schimmern, breit geschwungene Rückleuchten, armdicke Endrohre. Und mit gerade mal 1,25 Metern dicht geduckt lauernd über dem Asphalt. Ein Aston Martin eben. Schnell, stark, brutal schön - und brutal teuer.

Wer dann einsteigt in den Aston, der sieht den Eindruck von Eleganz und Brutalität weiter bestätigt. Auf der einen Seite kommt der Renner aus Gaydon durchaus luxuriös daher. Geschmackvolle Farben, fein verarbeitetes Leder mit Ziernähten in der Wagenfarbe, ordentlich Platz für zwei Passagiere, ein klar geordnetes Armaturenbrett mit aufklappbarem Navi - das alles grenzt fast schon an Wohlfühlambiente. Schon der Einstieg selbst ist angenehm unüblich. Normalerweise erkauft man sich den Eintritt in einen Supersportwagen nicht nur mit einem dicken Scheck, sondern auch mit körperlichen Verrenkungen. In den Vantage S gleitet man durchaus elegant hinein. Die neuen Sport- und Leichtbausitze passen und bieten guten Seitenhalt, ohne dass sie wie ein Schraubstock einengen. Einziges Manko: Wer über 1,85 Meter misst, der hat ein Problem, sie weit genug nach hinten zu schieben. Der Laderaum im Heck ist sportwagenüblich mit 300 Litern zudem nicht gerade üppig - liegt aber sehr deutlich über dem, was Konkurrenten wie Audi R8, Ferrari oder Lamborghini so anzubieten haben.

Soviel zur Eleganz. Dazwischen drängt schon optisch überall der kompromisslose Sportler durch. Das Lenkrad ist exakt in Tiefe und Neigung verstellbar und der besseren Griffigkeit wegen mit Alcantara aufgepolstert. Die Schaltpaddel links und rechts am Lenkrad liegen optimal in Griffweite. Überall schimmern zwischen dem vielen Leder Carbonteile hervor, die praktischerweise auch noch ein paar Kilo Gewicht sparen. Das halbautomatische Getriebe lässt sich über drei Drucktasten oben an der Mittelkonsole einstellen, den Sportmodus aktiviert eine vierte Taste. Über sie lassen sich unter anderem Gasannahme, Schaltgeschwindigkeit und -timing sowie die Direktheit der Lenkung etwas radikaler trimmen. Der Druck auf eine weitere Taste verändert die Einstellung des neu entwickelten adaptiven Dämpfungssystems in den Stufen "Normal", "Sport" oder "Track".

Gestartet wird, indem man den Zündschlüssel in das zentrale Schloss auf der Mittelkonsole steckt. Und "starten" ist durchaus wörtlich zu verstehen - wenn man denn will. Zunächst knurrt der Zwölfzylinder unter der Haube kurz auf, schüttelt sich einmal durch und wartet ruhig blubbernd darauf, dass man ihn machen lässt. Der Klang wirkt bis in die Eingeweide. Wer auch nur etwas Sinn für Autos diesen Kalibers hat, dem stellen sich unweigerlich die Nackenhaare auf. Die Briten haben den V12 AM28-Motor gründlich überarbeitet, Bosch steuert das Motormanagement bei. Rund 25 Kilogramm weniger Gewicht und eine verstellbare Nockenwelle im Zylinderkopf sind nur zwei der Ergebnisse. Ein weiteres ist der Power-Push auf 422 kW/573 PS und ein maximales Drehmoment von 620 Nm.

Was das real bedeutet, erlebt man, wenn man das Gaspedal durchdrückt: Der Sechsliter-Motor brüllt auf wie ein zorniges Monster und prügelt seine Kraft an die Hinterräder. Der Vantage selbst stürmt los mit einer erstaunlichen Traktion. Auf 100 km/h ist er nach 3,9 Sekunden, danach geht es nicht weniger ungestüm weiter. Schluss ist erst bei 328 km/h. Sagt zumindest Aston Martin - und man mag hinter dem Lenkrad gewiss nicht daran zweifeln. Kein Schwänzeln, keine Unruhe in der Lenkung - Beschleunigung pur. Das automatisierte Siebengang-Getriebe "Sportshift III AMT" von Oerlikon Graziano haut die Gänge brachial und stoisch rein. Schnell, unbeirrbar, aber mit merkbaren Unterbrechungen des Kraftflusses. Wer sich nicht auf die Automatik verlassen will, der legt die Gänge über die Schaltwippen vor. Je sportlicher die Einstellung, desto höher die Drehzahlen, bei denen sich das Getriebe wohlfühlt. Die maximale PS-Leistung liegt ohnehin erst bei 6.750 U/min. an, das maximale Drehmoment 1.000 U/min. früher. Bereits 1.000 U/min. reichen für bis zu 510 Nm. Die Skala im Armaturenbrett reicht bis 8.000 Umdrehungen.

Einfach nur beschleunige und den Anpressdruck spüren, das kann zur Sucht werden. Aber noch mehr Potenzial dazu hat die Kurvenjagd über Bergstraßen. Unbeirrbar hält der Vantage S selbst in engen Kehren die Spur, die sein Fahrer vorgibt. Die Lenkung ist direkt und präzise, die Gewichtsverteilung von 51:49 nahezu ideal: Man muss schon einiges anstellen, damit das Heck des 1,6-Tonners beim Herausbeschleunigen aus der Kurve leicht das Tänzeln anfängt - selbst, wenn man das ESP ausschaltet. Je nach Fahrwerkseinstellung tendiert der Federungskomfort zwischen sportlich bequem ("Normal") oder ruppig ("Track"). Die üppigen Carbon-Keramik-Bremsen sorgen zur Not dafür, dass der Aston ähnlich schnell an Tempo verliert, wie er beschleunigt.

Aber der Vantage S kann auch ganz anders: In der Stadt lässt er sich behutsam wie ein ganz normales Familienauto kutschieren. Dennoch: Wer bei alledem mit dem offiziell angegebenen Durchschnittsverbrauch von 16,4 Litern auskommt, sorry, der hat ihn nicht verdient. Satt in den Zwanzigern dürfte wohl realistischer sein.

179.950 Euro Einstandspreis ruft Aston Martin in Deutschland für den Vantage S als Basispreis auf. Die Österreicher müssen 223.865 Euro und die Schweizer 204.330 CHF überweisen. Darf\\\'s ein bisschen mehr sein? In der Türkei werden 401.357 Euro fällig. Dafür gibt es dann vor allem Motorkraft, Schönheit und pure Fahrfreude. Das Angebot an Assistenzsystemen zumindest hält sich für die Luxusklasse sehr zurück. Parksensoren, ja, ist Serie. Ebenso wie Trip-Computer oder Tempomat. Wer sich dieses Auto zulegt, der will eben fahren - nicht fahren lassen.

Quelle: Autoplenum, 2013-10-08

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