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Testbericht

Stefan Grundhoff, 29. Januar 2017
Sie sind gelb, grün, nackt oder luxuriös ausgestattet und lassen das Herzen der potenziellen Kunden jubeln. Junge Klassiker stehen hoch im Kurs. Mercedes hat daraus mehr denn je ein Geschäft gemacht: All Time Stars.

Dass sich der Erstkunde des saharagelben Mercedes 230 Ende der 70er Jahre bei der Auswahl seines Privatfahrzeugs besondere Mühe gegeben hat, darf getrost bezweifelt werden. Zugelassen am 1. März 1979 hat der gelbe 123er selbst nach heutigen Maßstäben nicht viel zu bieten, was das Herz eines Autofans springen lässt. Der 230er-Vergaser-Motor ist mit seinen 109 PS alles andere als dynamisch motorisiert. Mit der seinerzeit überaus begehrten Viergangautomatik schaffte er bei der Erstauslieferung den Imagespurt 0 auf Tempo 100 in 13,5 Sekunden. 165 km/h Höchstgeschwindigkeit machten ein längeres Verweilen auf der linken Autobahnspur schwerer als vielleicht erwartet und die braune Innenausstattung ist ebenso wie der gelbe Außenlack mit dem charismatischen Farbcode 673 reine Geschmackssache. Drehzahlmesser, elektrische Fensterheber, Zentralverriegelung oder gar ein Schiebedach? Die Oberklasselimousine vergangener Dekaden bietet nichts von alledem. Wer denkt, dass ein solcher Oldtimer sich auf dem Gebrauchtwagenmarkt die schmalen Pneus platt steht, sieht sich getäuscht. Fahrzeuge mit Buchhalterausstattung sind längst beliebte Sammlerobjekte - zumindest, wenn sie keine 300.000 km auf dem Tacho haben. Das potenzielle Objekt der Begierde hat gerade einmal 25.000 Kilometer auf der Uhr und ist aus erster Hand. "Der Zustand ist beinahe wie bei einem Neuwagen", erzählt Patrik Gottwick, im Mercedes Museum für den Oldtimerverkauf zuständig.

Die umtriebigen Schwaben haben aus der mächtigen Nachfrage nach Young- und Oldtimer eine Tugend gemacht und den eigenständigen Bereich der All Time Stars gegründet. Was sich nach einer traditionsbeladenen Basketballmannschaft anhört, sieht sich getäuscht, denn die All Time Stars sind eine Kollektion von Klassikern vergangener Jahre. Zwar gibt es Oldtimer an jeder Ecke, in jeder Autobörse oder auf den zahllosen Messen und Events in Europa oder auf der ganzen Welt. Doch viele haben bei der Suche nach einem Oldtimer ein nervöses Grummeln im Bauch. Denn je älter das Traumauto, umso größer ist das Risiko, einen Bock zu schießen und kräftig Geld zu versenken. Da erscheint einem ein Kauf direkt vom Autohersteller inklusiv Garantie und Gutachten eine überaus sinnvolle Risikominimierung. "Die Anzahl der Vorbesitzer ist wichtig. Wir kaufen normal nur bis dritter Hand", erklärt Patrik Gottwick, im Mercedes-Museum für die All Time Stars verantwortlich, "unsere Kriterien sind streng - unter einem Zustand 2 kaufen wir nichts. Besonders beliebt sind bei unseren Kunden Cabrios und Roadster aus den Baureihen R 107 oder R 129."

Auf der Suche nach Klassikern aus den vergangenen Jahrzehnten reisen die Experten von Mercedes durch das gesamte Europa und die USA. "Wir kontrollieren bei der ersten Inaugenscheinnahme zunächst alle Nummern an Fahrzeug, Lack, Fugen und Teilen. Alles wird in einem entsprechenden Protokoll festgehalten", erklärt Klassikexperte Patrik Gottwick, "dann wird entschieden, ob wir den Wagen kaufen. Kaufen wir ihn, gibt es bei uns einen umfangreichen Werkstattcheck mit insgesamt 160 Punkten." Für besonders wertvolle Autos sieht das Prozedere noch aufwendiger aus. Dann bekommt der Oldtimer im Klassikcenter Fellbach einen aufwendigen Drei-Tage-Check, um die Echtheit von Teilen, Zustand und Ausstattungen zu klären.

Ein Blick in die Datenbank zeigt, dass gerade die SL-Generationen zumeist nur kurze Zeit verfügbar sind, ehe sie in die Garage eines Klassikkunden umgeparkt werden. In welcher Preiskategorie man sein Sommerfahrzeug sucht, ist dabei ganz der Neigung, dem Bankkonto oder etwaigen Kindheitserinnerungen überlassen. Für einen großen Auftritt ist der silberne Mercedes 280 SE 3.5 genau der richtige; selbst wenn man sich nicht für den Hollywood-Streifen "Hangover" erwärmen kann. Schon vor Jahren waren die Modelle der Baureihe W 111 teure Vergnügen; mittlerweile sind diese beinahe unbezahlbar. 108.000 Kilometer gelaufen kostet das Luxusschmuckstück aus zweiter Hand stattliche 465.000 Euro. Doch es geht auch deutlich günstiger. Viele mögen bei einem Mercedes SL 320 in Almandinrot-metallic nicht nur ob der beigefarbenen Lederausstattung den Kopf schütteln und sich selbst in einem schwarzen oder noch besser silbernen SL der Baureihe R 129 aus dem Jahre 1994 oder jünger sehen. Doch selbst einige Lücken in der Komfortausstattung werden die 70.100 km Laufleistung in Verbindung mit zwei Vorbesitzern kaum abwerten können. Preis: knapp 30.000 Euro.

Besonders groß ist die Nachfrage bei offenen Modellen und seltenen AMG-Versionen. Doch auch an sich blasse Vorgängergenerationen der heutigen E-Klasse rollen immer öfter in Sammlerhände. Schließlich erfreuen sich diese nicht nur in Kalifornien als so genannte Daily Driver einer großen Beliebtheit. So einer ist der Mercedes 300 E der Baureihe W 124 aus dem Baujahr 1986. Mitte April zuglassen hat der astralsilberne Viertürer an sich nicht viel Ungewöhnliches zu bieten. Doch graue Stoffsitze, Alufelgen, elektrisches Schiebedach, Fensterheber und Klimaanlage zeigen, dass seine beiden Vorbesitzer nicht ohne Komfort reisen wollten. Außergewöhnlich sind eine Standheizung und der seltene Reiserechner. Preis bei 105.800 km Lauleistung: 19.950 Euro. Gibt es auf dem freien Markt auch schon für ein Drittel - aber nicht in dem Zustand, der Ausstattung und einer wasserdichten Historie.

Wer es exklusiver mag und nicht über 500.000 Euro für den schwarzen Mercedes 600 der elitären Staatslimousinenbaureihe W 100 hinlegen will, darf bei den S-Klasse vergangener Generationen an den oberen Zehntausend schnuppern. Entweder man mag es klassisch mit einem güldenen Vertreter der Baureihe 126 aus Frankreich, der für rund 43.000 Euro gerade einmal 30.800 Kilometer gelaufen hat oder man träumt für stattliche 21.900 Euro vom bisweilen ungeliebten 400 SE aus dem Jahre 1992 ohne Chance auf eine Mitnahme an der Autoverladung zur Insel Sylt. "Unser teuerstes Auto, das wir bisher verkauft haben, war ein Mercedes 300 SL Roadster von 1962, der eine komplette Werksrestauration bekommen hatte", sagt Patrik Gottwick, "er lag bei 1,8 Millionen Euro. Der günstigste war ein 200er Diesel von 1982 für 10.000 Euro. Der Vorbesitzer hatte einen dicken Ordner mit allen Rechnungen und Lichtbildern dabei. Die Historie ist eben immer ein wichtiger Bestandteil des Autos." Und eines steht fest: nicht nur bei der Generation Golf wird die Nachfrage nach Oldtimern steigen - mehr denn je.
Testwertung
4.5 von 5

Quelle: Autoplenum, 2017-01-29

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