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Testbericht

26. September 2011
Nizza, 26. September 2011 - Der Wagen besteht nur aus bärenstarker Maschine, langer Motorhaube und gekonnt verarbeiteten Edelmaterialien im Innenraum. So kommt es uns jedenfalls vor, nachdem wir uns in die eng anliegenden Sportsitze gepresst und den Anlasserknopf gedrückt haben. Und erst der Sound! Eigentlich ist es der Sound, der den Wagen ausmacht. Bollernd brummelt es aus der zweiflutigen Abgasanlage. Und deshalb ist der SLS AMG Roadster gegenüber dem vor zwei Jahren präsentierten Flügeltürer-Coupé auch die bessere Wahl - bei geöffnetem Dach kann man die Klangvielfalt des stärksten serienmäßigen Achtzylindersaugers der Welt (Mercedes-Pressetext) so richtig genießen. Dabei muss man sich in Acht nehmen, nicht süchtig zu werden: blubbriges Langsamfahren, aufbrüllendes Zwischenspurten, automatisch Zwischengas abrufendes Zurückschalten, schmatzendes Zündaussetzen, wenn man den Gasfuß lupft - Mercedes, lass dir mit deinen Elektrowagen vielleicht doch noch ein bisschen Zeit, und auch mit den downgesizten Turbomaschinen. 317 km/h mit offenem Dach? Man fragt sich zwar schon, wer wohl mit offenem Dach die Höchstgeschwindigkeit von 317 km/h ausprobieren möchte - denn bereits bei Tempo 130 zupft einem der Fahrtwind gehörig am Schopf (jedenfalls, wenn man 1,93 Meter groß ist). Doch die rasante Beschleunigung mit einem Spitzenwert von 3,8 Sekunden auf 100 Sachen lässt sich offen sehr wohl genießen, zumindest als Fahrer, der weiß, was jetzt gleich auf ihn zukommt, während man als Beifahrer vom Druck auf den Magen wie in der Achterbahn immer ein wenig überrascht ist und deshalb frische Luft gut gebrauchen kann.
Roadster teurer als Flügeltürer Zwei Jahre nach dem spektakulären Flügeltürer-Coupé kommt nun der SLS AMG Roadster auf den Markt. Wir hätten gedacht, dass die Schwingen so richtig ins Kontor schlagen, doch mit Stoffverdeck geht's noch ein bisschen teurer: Während der geflügelte SLS für 186.830 Euro beim Mercedes-Händler weg geht, fährt die neue Stoffverdeckvariante für 195.160 Euro über die Rampe, also gegen 8.330 Euro Frischluftaufschlag. Somit gibt es bald vier SLS-AMG-Modelle: Flügeltürer, Roadster, das Kundensportfahrzeug GT3 und ab 2013 den batterie-elektrischen E-Cell. Offenbarung in elf Sekunden Das neue, vollautomatische Softtop des Roadsters lässt sich in hurtigen elf Sekunden öffnen oder schließen, auch wenn man fährt (bis 50 km/h). Das Dach gibt es in den drei Farben schwarz, beige (besonders schick) oder rot. Es hat eine beheizte Glasscheibe und faltet sich z-förmig so flach in den Verdeckkasten, dass es harmonisch mit dem Heckdeckel abschließt. Edle Materialien perfekt verarbeitet Vom gleißenden Sonnenlicht an der Cote d`Azur, wo uns Mercedes den Beau zur ersten Testfahrt bereitstellt, wird das Cockpit gleichmäßig ausgeleuchtet. Wir registrieren perfekt verarbeitetes Leder, Echtmetall, Karbon und Klavierlack sowie mit Liebe gestaltete Details. "Alles, was man fühlt und sieht, ist echt - auch das Karbon", erläutert uns Dr. Joachim Schmidt, für Vertrieb und Marketing zuständiges Mitglied der Geschäftsleitung von Mercedes-Benz Cars. Und mit Karbon hat es Mercedes jetzt dick: Der fette Wagen wiegt nur 1.660 Kilogramm, die mit Motordrehzahl rotierende Kardanwelle ist aus Karbon und bei der Tragstruktur des Windschotts wurden ebenfalls Karbonkomponenten eingebracht. Auch der künftige Elektrorenner SLS E-Cell bekommt eine Karbonspende: Das Batterie-Monocoque dient als integraler Bestandteil der Karosserie und funktioniert als "Zero Intrusion Cell" für die Batterien.
Gewicht sparen mit Aluminium Zurück zum Roadster: Das Auto besteht aus einem Aluminium-Spaceframe mit Alu-Karosserie. Der Spaceframe, genauer gesagt, der Rohbau, wiegt nur zwei Kilo mehr als der des Flügeltürers, der ganze Wagen ist 40 Kilogramm schwerer als das Coupé. Die Seitenschweller haben mehr Kammern, der Instrumententräger weist zusätzliche Streben auf, hinter den Sitzen wurde eine neue Quertraverse mit feststehendem Überrollschutz eingezogen und zwischen Verdeck und Tank findet sich eine Domstrebe. Das Ergebnis zeigt sich beim Fahren: Der offene Wagen liegt ruhig, es klappert, wackelt oder vibriert nichts. 650 Newtonmeter Drehmoment Der Antrieb ist aber der gleiche wie beim Coupé: Der 6,3-Liter-V8-Sauger bringt 571 PS Leistung sowie 650 Newtonmeter Drehmoment. Das ergibt die bereits erwähnten 3,8 Sekunden für den Sprint von null auf 100 km/h. Die Höchstgeschwindigkeit von 317 km/h ist übrigens elektronisch begrenzt. Stolz wie Prinz Albert Doch so schnell muss man mit diesem Sportwagen gar nicht fahren - das Publikum soll ja schließlich sehen, wie man sein Geld angelegt hat. Und hören soll es den Boliden natürlich auch. Und so fühlen wir uns wie Prinz Albert persönlich, als wir während unserer Testtour an der französischen Riviera durch den Stoßverkehr von Monaco zuckeln. Da dreht sich fast jeder nach dem Wagen mit der langen Haube und dem eindrucksvollen Grummeln um, zückt den Zeigefinger oder gar die Kamera. Wie gut, dass es in Monaco zwischen dem vielen Beton schön schmale Straßenschluchten gibt, die das Motorhüsteln dutzendfach widerhallen lassen.
Zündaussetzer sind vorprogrammiert Wir drehen den Getriebeeinstellknopf in der Mittelkonsole auf Sport plus - braucht man in der Stadt eigentlich nicht, ergibt aber beim Gaswegnehmen die prima spatzenden Zündaussetzer und beim manuellen Zurückschalten mit den fetten Paddles am Lenkrad das aufmerksamkeitsheischende Zwischengas, genial komponiert von den AMG-Ingenieuren. Die Aufmerksamkeit der Monegassen ist uns sicher. Mit langer Schnauze durch enge Kurven Wir fahren ins Hinterland und erreichen kurvige Bergstraßen. Die Maschine schiebt den Wagen stets unbändig voran. Enge Kehren kann ein Porsche 911 Turbo besser nehmen, vielleicht ist es aber auch Gewöhnungssache, die lange SLS-Schnauze vor sich her um die Kurve zu schieben. Vollgas am Ausgang der Serpentinenkurven quittiert der AMG mit einem schnellen, kurzen Ausrutscher der Hinterachse, bevor er vom ESP gleich wieder eingefangen wird und bevor die mechanische Differenzialsperre für maximalen Grip sorgt. Da kurz zuvor eine Regenwolke durchgezogen ist, bewegen wir uns auf noch feuchter Strecke und wagen es erstmal nicht, den ESP-Schalter zu drücken, um die elektronische Hilfe teilweise oder gar ganz außer Betrieb zu setzen. Den Verbrauch gibt Mercedes mit durchschnittlich 13,3 Liter je 100 Kilometer an, bei unserer Bergtour zeigte der Bordcomputer aber auch mal 20 Liter an. Messwerte wie bei Schumachers Meist zuckeln wir hinter Last- und Kleinwagen hinterher, die Geraden sind selbst für den AMG zu kurz, um ohne Risiko zu überholen. Dabei genießen wir den Ausblick in die Berge und das Blubbern des Achtzylinders, der uns mit seinem allgegenwärtigen Klangbad einlullt. Getoppt wird das nur noch vom Sound der in unserem Testwagen installierten Bang & Olufsen-Spezialanlage, die mit 1.000 Watt aus elf Lautsprechern donnert. Zeit, sich mit dem "AMG Performance Media System" zu beschäftigen und Michael oder Ralf Schumacher zu spielen: Per Druck auf den AMG-Knopf in der Mittelkonsole lassen sich zahlreiche Messwerte erfassen, speichern und am großen Monitor anzeigen. Wir können den Motorzustand prüfen, die abgerufene Leistung überwachen oder Quer- und Längsbeschleunigung checken. Zudem bietet das System einen Internetzugang über einen eigenen Router, womit der SLS zum rasenden Hotspot wird (Kostenpunkt für alles: 3.500 Euro).
Getriebe in Transaxle-Bauweise Die Strecke wird frei, wir fahren den SLS AMG Roadster aus. Das Lenkverhalten des Wagens zeigt sich perfekt austariert, der Motor hängt gierig am Gas, das neue Siebengang-Doppelkupplungsgetriebe, das in Transaxle-Bauweise an der Hinterachse sitzt, könnte allerdings noch einen Tick schneller schalten. Wir stellen die variable, elektronisch geregelte Dämpfung des AMG-Ride-Control-Fahrwerks auf "Sport" und sind zunächst enttäuscht: So richtig hart wird die Sache nicht, der Wagen bleibt komfortabel. Die Stoßdämpfer reagieren erst abhängig von der Fahrsituation straffer, Wank- und Nickbewegungen bleiben dennoch nahezu vollständig aus. Der zusätzliche Modus "Sport plus" bietet Regelalgorithmen für eine sportliche Fahrweise "auf Strecken mit ebenem Fahrbahnbelag" - also für die Rundstrecke. Mit Hilfe des AMG-Tasters können wir unser persönliches Setup speichern und wieder abrufen. Teuer, aber sehr gut ausgestattet 195.160 Euro sind eine ganz schöne Stange Geld. Wer sich dafür den SLS AMG Roadster kauft, hat in der Regel schon eine dicke Limousine und/oder einen großen Geländewagen in der Garage. Diese Kundschaft ist anspruchsvoll. Entsprechend gut ist der Mercedes ausgestattet: Zum Serienumfang gehören schwarzes Designo-Leder, beheizte Sportsitze, ein aufsteckbares Windschott, Comand APS mit DVD-Laufwerk, eine Klimaautomatik, das Doppelkupplungsgetriebe und vieles mehr, was sonst Aufpreis kostet. Doch mit Leichtigkeit könnten wir aus der Aufpreisliste für 20.000 Euro nette Spielereien dazukaufen, und die meisten Kunden werden das wohl auch tun.
Technische Daten
Antrieb:Hinterradantrieb
Anzahl Gänge:7
Getriebe:Doppelkupplungs-Getriebe
Motor Bauart:Otto-V-Motor
Hubraum:6.208
Anzahl Ventile:4
Anzahl Zylinder:8
Leistung:420 kW (571 PS) bei UPM
Drehmoment:650 Nm bei 4.750 UPM
Preis
Neupreis: 195.160 €
Fazit
Von Anfang an gemeinsam mit dem Coupé entwickelt, kommt der SLS AMG Roadster nun zwei Jahre später auf den Markt. Er ist ein großartiges Spaßauto, wenn auch ein sehr Teures. Doch Mercedes bietet für die fast 200.000 Euro Kaufpreis einen hohen Gegenwert: Eine umfangreiche Ausstattung, edelste Materialien und perfekte Verarbeitung sind das eine, die lange Motorhaube und der bärenstarke, klanggewaltige V8-Saugmotor das andere. In allen Belangen wurde hier ein Supersportwagen mit viel Liebe zum Detail auf die Räder gestellt. Wie sinnvoll es ist, dass ein offener Wagen 317 km/h schnell sein kann, sei mal dahingestellt und nicht gerade wenig verbrauchen wird er natürlich auch. Doch mit diesem Genussfahrzeug werden wohl kaum Kilometer am Stück abgerissen. Dieser AMG ist ein ganz besonderes Auto, das von den meisten Besitzern wahrscheinlich entsprechend pfleglich genutzt wird - er sei Ihnen gegönnt, der schicke Performance Cruiser.
Testwertung
5.0 von 5

Quelle: auto-news, 2011-09-26

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