Letztes Wochende hatte ich die Gelegenheit, den Cayenne S ausgiebig zu testen. Der S ist und bleibt für mich neben den Diesel noch die "wirtschaftlichste" Variante, Cayenne zu fahren...mit einer gehörigen Portion Spass.
Der neue Cayenne wirkt für mich von aussen eher unscheinbar...man könnte ihn von hinten glatt mit einem asiatischen SUV verwechseln, wäre da nicht der prägnante PORSCHE-Schriftzug. Die Seitenlinie wirkt gestreckt, dadurch wirkt der Cayenne länger als sein Vorgänger, er ist es ja auch tatsächlich. Von vorne ist er eine Mischung aus Panamera gepaart mit einem Schuß Carrera GT.
Die Verarbeitungsqualität innen wie aussen ist einfach top. Der Wagen wirkt wie aus dem Vollen geschnitzt. Nichts knarzt und klappert...das darf man aber auch von einem 120 TSD€ Fahrzeug erwarten.
Der Innenraum wirkt sehr hochwertig: Leder, wohin das Auge reicht, hier und da ein bischen Alu und Knöpfe in Klavierlackoptik. Warum allerdings die Einfassungen der Luftausströmer in schnödem Plasitk in Aluoptik gehalten wurden ist mir schleierhaft...genauso wie der billig wirkdende und merkwürdige funktionierende Tempomathebel. Beim Letzteren wurde nicht die gleiche, logische Funktion wie beim Touareg oder bei den Audimodellen zurückgeriffen, sondern etwas eigenes entworfen, mit dessen Funktion ich als langjähriger Audifahrer so meine Probleme hatte.
Das Platzangebot ist riesig. Der Kofferraum zeigt sich als sehr schluckfreudig und wirkt kleiner als er tatsächlich ist. Immerhin ist das Volumen mit 670 l ganze 90 l grösser als beim Konzernbruder Touareg. Ohne weiteres passte unser potentielles Urlaubsgebäck nebst Kinderkarre problemlos hinein und es wäre noch Platz für mehr gewesen. Auch das Raumangebot im Fondbereich ist riesig. Unsere beiden Kinder in ihren ISOFIX-Kindersitzsystemen (Babyschale und Kindersitz) passen problemlos hinein ohne dass man vorne irgendwie auf Platz verzichten musste. Unser Grosser (2,5 Jahre alt) hatte hinter dem Fahrersitz noch so viel Beinfreiheit, dass seine Füsse nicht einmal die Rücksitzlehne berührten...und ich bei 1,85 m Körpergrösse den Fahrersitz nicht nach vorne fahren musste.
A propos Sitze: Diese waren als Sportkontursitze ausgestattet, mit dessen Hilfe man neben Sitzhöhe, Leheneneigung und Lordosenstütze auch noch die Beinauflage und sogar die Sitzwangenbreite elektrisch verstellen konnte. So passt der Sitz wie angegossen.
Ablagen gab es ebenfalls ausreichend: in allen vier Türtaschen lassen sich 1l Getränkeflaschen verstauen, zusätzlich sind die Taschen so breit, das auch z. B. sperrige Brillenetuis Platz finden. Es gibt vorne und hinten zwei Getränkehalter. Allerdings ist das Handschuhfach zu klein geraten ebenso wie das Staufach unter der Mittelarmlehne vorn. Negativ: ein Brillenfach im Dachhimmel oder sonstwo gibt es nicht.
Die Bedienung des Cayenne ist etwas gewöhnungsbedürftig: Die Mittelkonsole ist mit zu viel Schaltern und Tastern überfrachtet, man braucht schon ein paar Minuten, um sich zurechtzufinden. Das hat VW im Touareg besser gelöst. Überhaupt sind die Schalter m. E. zu klein. Man muss während der Fahrt genau hingucken, was oder wo man drückt, intuitiv geht das nicht.
Die Übersichtlichkeit geht noch in Ordnung, dank der Kotflügelwülste, die wohl als Remineszenz an den 911'er gelten sollen, hat man eine Ahnung, wo der Cayenne vorne aufhört. Allerdings ist die Übersichtilchkeit nach hinten durch die kleinere und geneigte Heckklappe eingeschränkt. Hier sollte man unbedingt die aufpreispflichtige Heckkamera mitbestellen. Dass es das Aera-View des Konzernbruders Touareg nicht gibt, ist ein echtes Manko, denn dadurch würde die Übersichtlichkeit deutlich verbessert.
Alles in allem wirkt der Cayenne schmaler, als er tatsächlich ist, der Beifahrer kommt wieder näher und man fühlt sich als Fahrer irgendwie positiv eingebettet...das Gefühl löst wohl auch die wuchtige und steilansteigende Mittelkonsole aus.
Das Multimediasystem steht übrigens im krassen Gegenteil zu der mit Tastern überfrachteten Mittelkonsole. Es ist intuitiv und einfach zu bedienen und sehr schnell. Die Navigation ist gut und zeichnet sich durch zwei unterschiedliche Kartendarstellungen aus: Eine grosse Karte auf dem Monitor, bei der man aber leider nicht die Ansicht und den Zoomfaktor der Karte ändern kann (jedenfalls habe ich das nicht herausgefunden, wer es weiss, kann mich ja korrigieren) und eine kleine Kartendarstellung im FIS (rechte Armaturenhöhle), die wie gewohnt die aktuelle Position in einem vernünftigen Zoomfaktor anzeigt. Das Bose-Soundsystem ist hervorragend und reicht wohl völlig aus, das sehr teure Buremester-High-End-Audio-System ist wohl nur was absolute HiFi-Enthusiasten...
Nun zum Motor: der V8 ist eine Wucht und m. E. die beste Motorisierung für den Cayenne. Mit seinen 400 PS und 500 Nm Drehmoment schiebt er den Cayenne ordentlich voran und man fühlt sich adäquat motorisiert. Überholvorgänge sind problemlos, dabei ist der V8 angenehm zurückhaltend, ausser beim Anlassvorgang und auch nur dann, wenn die Zündung aus ist. Da bollert er wie ein Rennmotor los, was ich persönlich als etwas zu viel Show empfunden habe, da sich jeder gleich umdreht. Beim sehr gut funktionierenden Start-Stopp-Anlassvorgang an der Ampel ging der Motor ohne grosses Ruckeln aus (Vorausetzung: Bremse getreten lassen!) und sprang beim Verlassen der Bremse leise wieder an...ebenfalls ohne grosses Ruckeln.
Das zurückhaltende Auftreten und die guten "Sound-Manieren" des Cayenne hatten übrigens noch ein sehr angenehmer Effekt: der Porsche wirkt nicht mehr so protzig wie sein Vorgägner und eher etwas unscheinbarer...also hat mehr an sozialer Kompetenz zugelegt.
Die Achtgangautomatik schaltet schnell und sehr weich, wenn man nicht im Sportmodus unterwegs ist. Dort werden die Schaltvorgänge sehr hart und unkonfortabel. M. E. ist die Sporttate ein unnützes Gimmik, denn wer geht mit einem SUV schon auf die Rennstrecke oder auf Kurvenhatz durch die Serpentinen der Alpen?
Mein Fazit: Tolles Familienauto für die oberen Zehntausend, denn Anschaffung und Unterhalt sind teuer.
Positiv:
+ viel Platz
+ solide tolle Verarbeitung
+ noble und gute Ausstattung
+ Grosse Ablagen in den Türen
+ toller Motor
+ sehr gute Fahreigenschaften und Leistungen
Negativ:
- teilweise billige Plastikapplikationen im Konstrast zu den hochwertigen Innenraummaterialien
- mit Schaltern überfrachtetete Mittelkonsole
- kein Area-View
- kein Brillenfach
- zu kleines Handschuhfach und Staufach in den Mittelkonsole
Und was mich persönlich beim Testwagen am meisten genervt hat, war das ständige Abkippen des rechten Aussenspiegels (Bordsteinmodus) beim Einlegen des Rückwärtsganges. Trotz dass ich die el. Spiegelverstellung immer auf den linke Aussenspiegel eingestellt hatte, machte der rechte Spiegel sich jedesmal selbstständig. Beim seitlichen Rückwärtseinparken in eine Parklücke zwar hilfreich, aber bei Rangieren oder rückwärts in die Garage fahren einfach nur nervend, da man erst wieder den Taste für die rechte Spiegelverstellung drücken musste.
Ach ja noch ein Manko am Testwagen: die el. Heckklappe lies sich von innen nicht öffnen.