In den 80er Jahren habe ich während der letzten beiden Schuljahre in einer kleinen privaten Autowerkstatt mit angeschlossenem Lackierbetrieb im Landkreis Starnberg in den Ferien gejobbt, als Mädchen für alles sozusagen.
Da hat im ersten Jahr ein Sohn aus gutem Hause seinen XJ 6 Mark I 4,2
( Bj. 1971) zum Lackieren gegeben - ein dunkelgrüner Perleffekt-Metallic-Lack (damals der letzte Schrei), der wirklich irre aussah und je nach Lichteinfall von hellblau über violett bis schwarz alle möglichen Reflexe beinhaltete. Das war natürlich auch so richtig teuer. Leider hatte besagter Sohn irgendwie all sein (oder seines Vaters) Geld bis zum Abholtermin durchgebracht und somit blieb der Jaguar zunächst bei der Firma. Nachdem sich dann rausgestellt hat, dass der Wagen ohnehin nicht mehr versichert und versteuert war (da auch hierfür die nötigen Groschen nicht mehr vorhanden waren), hat man sich darauf geeinigt, dass der Inhaber der Lackiererei den Wagen eben behält.
In Ermangelung eines anderen fahrbaren Untersatzes wurde ich zwischen Ölwechseln, Schleifen, Farbreste entsorgen u.a. täglich mehrmals mit dem Jaguar die ca. 20 km nach München und sonstwohin im Umland geschickt, um benötigte Ersatzteile zu kaufen.
Das war natürlich ein gefundenes Fressen für mich, der doch bis dahin nur 18, 23 und 40 PS gefahren hatte (Fiat 500 und 770 sowie Käfer).
Nun zum Auto:
Außer BMW habe ich nie mehr ein Fahrzeug mit einem derart seidenweichen und geschmeidigen Motorlauf gefahren. Die Leistung hat mich natürlich überwältigt - war jedoch dank der sanften Entfaltung auch für mich beherrschbar. Wenn man aber aufs Gas gegangen ist, war da echt mächtiger Schub vorhanden. In der Zeit, als dieses Auto gebaut wurde, war er sicher einer der schnellsten seiner Zunft.
Die Getriebeübersetzung sowie der Motorhub waren so ausgelegt, dass man auch ganz entspannt cruisen konnte.
Das Getriebe hat sich übrigens sehr weich und absolut präzise schalten lassen, kenne ich so bisher nur noch von BMW- oder Toyota - Modellen.
Der Innenraum war einfach wunderschön - ein richtiges Armaturen"brett" aus edlem Holz (Walnusswurzel glaube ich) mit lauter chromumrandeten Instrumenten drin (deren Zeiger allerdings ziemlich wahllos kreisten und zitterten - ein genaues Feststellen der gefahrenen Geschwindigkeit oder der tatsächlichen Motordrehzahl war schlicht unmöglich, das Voltmeter hat um den ganzen Ausschlagbereich getanzt - echtes Mäusekino). Die Uhr ging jeden Tag eine halbe Stunde nach.
Jede Menge verchromter Kippschalter (bin soeben eines besseren belehrt worden - waren wohl doch nicht verchromt, laut Experte. Dann waren's die Ringe außenrum). Fast wie das Flugzeugcockpit einer alten Messerschmitt - oder vielmehr Spitfire.
Die Sitze aus feinstem Leder, allerdings ohne jeden Seitenhalt.
Die Platzverhältnisse waren eher dürftig. Ich bin nur 1, 73 m groß und war mit 18 / 19 Jahren wirklich noch sehr schlank und beweglich, aber ich brauchte zum Einsteigen schon fast einen Schuhanzieher. Einmal drin, saß man sehr bequem, wie im Fernsehsessel.
Der Transport von selbst eher kleinen Kartons mit Ersatzteilen gestaltete sich sehr mühsam, denn in den Kofferraum passten die nicht rein, da der Deckel so flach gehalten ist und stark nach hinten abfällt.
Auch auf den Rücksitz ließ sich alles nur sehr schwer einfädeln, denn die gesamte Karosserie ist ja sehr niedrig und geduckt.
Die Klientel, an die sich der Jaguar wendet, ist ja normalerweise eher der Advokat, der seine dezente büffellederne Aktenmappe auf dem Beifahrersitz verstaut (wenn dort nicht gerade die zierliche Gattin zu sitzen geruht).
Oder der Kunsthändler, der mal eben mit dem Katalog unterm Arm zum Kunden fährt. Der Diamantenhändler hatte es noch einfacher, der konnte sein Säckchen einfach in den riesigen Aschenbecher legen,
der fast größer war als das Handschuhfach.
Nur bei einer anderen potentiellen Zielgruppe, den Operntenören, ist mir nie klar geworden, wie die mit ihren Bäuchen unter das Lenkrad passen sollten...
Aber Spaß beiseite, eigentlich ging's hier ja um das Auto, und eins muß ich dazu schon sagen - Stil hatten sie , die alten Raubkatzen. In dieser Hinsicht war das teutonische Design, wie Mercedes es zu dieser Zeit bot, schlicht nicht konkurrenzfähig. Dass sich speziell kunstsinnige Menschen und Lebemänner, die die schönen Dinge lieben, von diesem Fahrzeugtyp angezogen fühlten, ist nachvollziehbar.
Aber die englischen Automobile jener Epoche hatten eben auch ihre Achillesferse, nämlich the very, very poor quality.
Die Karosserie war recht steif, auch die Verarbeitung der edlen Materialien im Innenraum war sehr sauber ausgeführt. Aber die Mechanik, und erst recht die Elektrik - oh boy!
Man hat damals das Sprichwort kreiert, man bräuchte als Jag-owner eigentlich immer zwei davon, weil einer bestimmt immer gerade nicht fährt. Der Werkstattbesitzer hat den Wagen ja weiter privat gefahren, und der wußte ein Lied davon zu singen.
Die hatten in den 70ern tatsächlich noch stoffisolierte Kabel, etwas, das selbst die Italiener und Franzosen meines Wissens schon vor dem zweiten Weltkrieg aus dem Automobilbau verbannt hatten. Und zum Teil blanke Steckverbindungen. Und das in einem Land, in dem es so viel regnet!
Die Fertigungstoleranzen bei den britischen Serienautos waren etwa so wie die russischen - wo es in Deutschland oder Japan tausendstel Millimeter sein müssen, passte bei den Briten auch ein halber Zoll zur Not. Dementsprechend anfällig waren die Motoren, die Vergaser, die Kupplungszylinder, Scheibenwischergestänge, Radaufhängungen, Bremszylinder, etc...
In den 80er Jahren beim Nachfolgermodell hat ein hochmotivierter britischer Manager sich den Slogan ausgedacht: " You can't stop a Mercedes-owner talking about quality. Can we? We can!" Den hat er überall in Coventry in den Fertigungshallen aufhängen lassen.
Das Resultat ist ja landläufig bekannt. Der gute Mann ist wahrscheinlich in der Nervenheilanstalt gelandet (strawberry fields forever), oder er hat rechtzeitig den Wechsel zu Toyota vollzogen, wo man ihn aufgrund seiner Einstellung zum Thema quality sicher mit offenen Armen empfangen hat.
Erst die Konzernübernahme durch Ford hat aus den Raubkatzen einigermaßen zuverlässige Begleiter gemacht (Verwendung bewährter Großserienbauteile sowie moderne Fertigungstechniken und Qualitätsmangement). Mal sehen, was unter indischer Herrschaft aus den Autos wird.
Und noch eins: Zu den ohnehin schon exorbitanten Unerhaltskosten gesellte sich noch ein wirklich großer, großer Durst. Die zwei Tanks im Heck waren nicht umsonst so voluminös...
Ich will gar nicht wissen, was die 5,3 l Zwölfzylinder verbraucht haben -
wahrscheinlich so viel wie eine Mondrakete beim Start:-)
Aber eins bleibt unbestritten - es ist eins der schönsten Autos, die es je gab; vor allem das Coupé ist wirklich von atemberraubender Eleganz.