Frage: Handbremsfunktion bei Hinterradantrieb
Unser Söhnlein, Technik- und Autofan, lässt sich immer wieder mal eine interessante Frage einfallen.
Heute geht es um die Funktion der Handbremse, die ja bei den allermeisten PKW auf die Hinterräder wirkt.
Macht ja auch Sinn, denn so kann man ja am Berg leicht anfahren, indem man die Handbremse langsam "kommen" lässt.
Und bei Heckantrieb? Behindert die da nicht den Vortrieb, denkt er dabei.
Ich meine: Nein, die Motorleistung ist wesentlich stärker als die Handbremswirkung.
Habe ich Recht oder er? Fahre bisher nur VW und Audi - mit Frontantrieb!
Die bremsen an einem Kraftfahrzeug müssen so Dimensioniert sein, das sie eine größere Kraft aufbringen als der Motor. Deshalb kann man mit den Bremsen den Motor abwürgen.
Ja gut, aber die Handbremse wirkt doch meist über ein Zugseil auf die hinteren Bremsklötze:
http://www.kfz-tech.de/SchHandbremse.htm
und muss im Grunde ja nur das stehende Auto auch auf einer 18%-Steigung sicher halten.
Sohnemann denkt, sie wäre aber so kräftig, dass sie den Radvortrieb bei einem heckgetriebenen Fahrzeug behindern bzw. sogar verhindern könne.
Ich glaube das nicht...deswegen frage ich hier mal.
Ein Handschalter wird abgewürgt, ein Autom. müsste weiterlaufen
Alle vier Räder sind mechanisch direkt miteinander verbunden, nennt sich Haftreibung und Fahrbahn.
Somit ist es (fast) völlig unerheblich, wo eine Bremse und eine entgegengesetzt wirkende Antriebskraft ansetzt.
Aber eben nur fast, denn es gibt zwei manchmal sehr entscheidende Vorteile, wenn die Handbremse auf die Antriebsräder wirkt:
1) Bei derzeitigen Straßenverhältnissen ist es besser, wenn die "Hand"-Bremse (so lange sie per Hand bedien- und regulierbar ist) auch auf die Antriebsräder wirkt.
Ist das "kleinst mögliche" Anfahrdrehmoment an den Reifen bereits größer, als die mögliche zu übertragende Reibung zwischen Reifen und Fahrbahn (Eis), dann kann man über einen direkten Zugriff der Handbremse auf die Antriebsräder und damit ein energievernichtender Einsatz der Bremse die Antriebsenergie weiter reduzieren, dass man unterhalb des Losbrechens der Antriebsräder bleibt.
2) Man benutzt die Handbremse als Sperrdifferenzial. Steht ein Antriebsrad auf blankem Eis, dann leitet das (ungesperrte) Differenzial sämtliche Antriebsenergie auf diese völlig haftungslose Rad. Es dreht munter durch, aber das Fahrzeug bewegt sich keinen cm.
Wird die Handbremse dann ganz leicht angezogen, nicht eingerastet, sondern per Hand die Bremsleistung dosiert (als flip-off), dann kann man "Last" auf das ansonsten nur durchdrehende Rad aufbauen.
Da nun "Last" auf diesem auf blankem Eis stehenden / durchdrehenden Rad vorhanden ist, führt das (ungesperrte) Differenzial nun auch Antriebsleistung an das andere Rad, welches auf "haftendem" Boden steht - und schon geht die Fuhre vorwärts.
Das ist immer dann, wenn der Fahrer eines im Winter "überlegenen" und "vorteilhaften" Fronttrieblers nicht voran kommt und dann ein alter 3er BMW freundlich lächelnd einfach am Berg oder aus einer zugeschneiten, verharschten Parklücke "einfach so" rausfährt
Was die "Handbremse" an sich angeht:
Es handelt sich nicht um eine reine "Festhaltefunktion" eines stehenden Fahrzeugs, sondern um eine "echte" Betriebsbremse, mit der man das Fahrzeug auch aus Höchstgeschwindigkeit und unter voller Last arbeitender Motor sicher abbremsen muss.
Ein mehrspuriges Kraftfahrzeug muss gem. geltender Bauvorschrift mindestens 2 (zwei) voneinander unabhängig wirkende Betriebsbremsen haben.
Die eine Betriebsbremse ist das bekannte Pedal, was in Teilen redundant ausgelegt sein muss (2-Kreis Bremsanlage). Die zweite Betriebsbremse ist die Handbremse, die AUCH die Funktion der Feststellbremse beinhalten darf.
Dieses sichere Festhalten bei 18% Steigung (Fahrzeug mit 10% Überladung plus Anhänger mit 10% Überladung) ist der Test für die Funktion Feststellbremse.
Die Tests für die Zulassung als zweite Betriebsbremse muten leicht materialistisch an:
1) Fahrzeug beladen bis zum höchstzulässigen Gesamtgewicht, Höchstgeschwindigkeit, Vollgas im höchsten Gang bleibt bis zum Testende bestehen und dann das Fahrzeug mit der "Handbremse" bis zum Stand abbremsen:
Die erreichte Bremsleistung muss mindestens 33% der vorgeschriebenen Mindestbremsleistung für die primäre bzw. Hauptbremsanlage entsprechen.
2) Fahrzeug fährt im kleinsten Gang mit der Motordrehzahl bei der die Größte Leistung anliegt, mit der "Handbremse" muss das Fahrzeug bei gleichzeitigem Vollgas bis zum Stand abgebremst und mit weiterhin Vollgas auch sicher gehalten werden (Automatikgetriebe).
Die Bremsleistung muss bei diesem Versuchsablauf mindestens 25% der Mindestbremsleistung der primären Bremsanlage entsprechen.
Danke, hosenmatz, für diese ausführliche Erklärung!
Wieder was gelernt
Aber was den 3er BMW angeht: Den hatte ein Nachbar jahrelang und hat sich jahrelang jeden Winter grün geärgert, wenn er mit den Hinterrädern in der vereisten Wasserrinne seiner Hofausfahrt gnadenlos hängenblieb - und mit Schwung drüber ging nicht, sonst wäre er ins gegenüberliegende Tor gebrettert... Nun hat er einen A4 und hat das Problem nicht mehr.
Ich habe auch immer nur Fronttriebler gefahren und hatte auch in Winterurlauben in den Bergen keine Probleme.
Nur weil man irgendwelche "Tricks" nicht kennt, bedeutet es nicht, dass es keine gibt oder dass die nicht funktionieren.
Ein Fahrzeug mit Frontantrieb hat aufgrund des höheren Gewichts vorn in vielen Situationen mit einem handelsüblichen Fahrer schon seine Vorteile.
Ist der Fahrer aber nicht mehr so handelsüblich, dann kann man mit Hinterradantrieb deutlich mehr erreichen. Schaue Dir den Rallye-Bereich an, ist Allrad verboten, dann wird mit Heckantrieb gefahren und das sicherlich nicht, weil Frontantrieb überlegen wäre.
Das dies mit der Leistungsreduzierung und Sperrdifferenzial durch Bremseingriff funktioniert, beweisen die modernen ASR- und Allrad-Systeme mit aktivem Bremseingriff an einzelnen Rädern. Das ist der alte Trick mit der Handbremse, nur ein wenig moderner und eleganter.