Einen Tag lang durfte ich mit dem neuen Scirocco 2.0 TSI mit Direktschalt-Getriebe verbringen. Hier ist mein Bericht, der ganz unter folgendem Stern steht: was kann das 200-PS starke Geschoss gegenüber meinem 3-türigen BMW 123d mit 204 PS? Nicht unbedingt ein direkter Vergleich, doch ein gewisser Maßstab, an dem ich den Scirocco messe.
Was war positiv?
Auch wenn ich stets versuche, meine Berichte in angemessener Formulierungsweise zu verfassen...eingangs muss das mal erwähnt werden: der Scirocco sieht einfach nur sau geil aus :-).
Das Design hat es mir wirklich angetan. In Sachen Linienführung macht VW, wie ich finde, sehr große Fortschritte. Der Golf IV war noch ein besserer Quader, Passat; Polo und Phaeton sind auch nicht gerade Design-Wunder. Neuerdings scheint der Groschen aber irgendwie gefallen zu sein: Scirocco und Passat CC scheinen zumindest äußerlich völlig gelungen. Die 18-Zöller und das schimmernd weiße Kleid runden das Design des Scirocco ab, einfach ein Blickfang. Klein - sportlich - aggressiv schon im Stand. Im Vergleich zum 1er-BMW gewinnt Wolfsburg gegen München in Sachen Optik 1:0.
Ist der Innenraum auch erfrischend neu gestaltet? Nein - kühle Golf-V-Armaturen lassen das Einheitsbrei-Feeling letztendlich doch noch aufleben. Das Serienlenkrad ist für optimale Rennsport-Ergonomie viel zu dünn, die Armaturen inkl. Klimaautomatik und Eingabesystem für Navigation und Co. sind zwar hochwertig, aber nicht unbedingt eine Augenweide. Die Sportsitze aus Leder sind allerdings TOP. Die Innenraumwertung geht trotzdem eindeutig an das nüchtern gestaltete und fahrerorientierte Premium-Cockpit des BMW 1ers. Es steht 1:1
Genug an Kleinigkeiten rumgemeckert. Wie fährt sich der Scirocco? Wir sind immer noch in der Rubrik "Positiv", deshalb zunächst ein Lob an das tolle Getriebe. Das inzwischen schon überholte 6-Gang-DSG schaltet präzise und setzt die Befehle, die der Fahrer über die etwas ungünstig angebrachten Schaltwippen gibt, unmittelbar um. Bei voller Beschleunigung schaltet das Direktschalt-Getriebe völlig ohne Zugkraftunterbrechung hoch und mit Zwischengas wieder runter. Geniales Ansprechverhalten dank Direkteinspritzung sorgt für den Wegfall der automatik-typischen Gedenksekunde bei Gasannahme und Schaltvorgängen. Das Getriebe verdient sich auf der Probefahrt in den kurvigen allgäuer Alpen 1000 Punkte und macht richtig Laune.
Bleibt zu sagen, dass das Fahrwerk des Scirocco gelungen straff ausgelegt ist, ohne dabei auf die VW-typische Sicherheitsauslegung mit sehr präsenter Untersteuertendenz zu verzichten. Die direkte Lenkung, die auch in engen Kehren sehr wenig Lenkeinschlag fordert, macht den Scirocco zumindest theoretisch zum Kurvenräuber. Verteilen wir, auch wenn es mir schwer fällt, einen Fahrspaß-Punkt für den sonst auch sehr sportlichen BMW und für den Scirocco, somit steht es zwischen Wolfsburg und München weiter unentschieden 2:2.
Was war negativ?
Am Scirocco gibt es auch auf hohem Niveau wenig auszusetzen. Großes Manko: der Frontantrieb. Was ich nie verstanden habe und wohl auch nie verstehen werde, ist die Tatsache, dass VW durchaus über eine Allrad-Plattform verfügt (wie z.B. beim Golf R32), allerdings in der 200-PS-Klasse nur den Frontantrieb verbaut (z.B. beim Golf GTI oder beim 2.0 TSI).
Der Scirocco hat große Traktionsprobleme, bei nasser Straße hat man bei abgeschaltetem ESP das Gefühl, man kommt gar nicht erst vom Fleck. In Kurven wird das natürlich noch extremer, gerade enge Spitzkehren lassen beim Fahrer kein Grinsen im Gesicht zurück. Das Herausbeschleunigen aus Kurven würdigt der Scirocco mit blockierter Gasannahme, ausgelöst durch die Traktionskontrolle. Bei ausgeschalteten Helferlein rückt das Kurvenäußere in gefährliche Nähe, seine große Untersteuertendenz ist als echte Schwäche zu betrachten, wenn gleich die Lenkung noch recht flexibel bleibt und nicht stark verhärtet. Das nervtötende Reißen ander Vorderachse bleibt weitgehend aus.
Der Fahrdynamik-Punkt geht eindeutig an München. Der 1er ist nicht nur ein Kurvenmonster, der mit sportlicher Härte und alles übertreffender Direktheit sowie perfekten Handlingeigenschaften überzeugt, sondern auch eine echte Drift-Maschine, was ja beim Scirocco rein physikalisch nicht in Frage kommt. München geht also in Führung mit 3:2.
Die Soundwertung entfällt, der Scirocco 2.0 TSI ist im Allgemeinen eher zurückhaltend und klingt sehr turbolastig, der 123d ist ein Diesel. Keine guten Voraussetzungen für einen Vergleich. Beleidigt füht sich der Sciroccofahrer nur dann, wenn der Fahrer im Stand gern mal dem Motor lauschen möchte. Hier säuselt der Motor bei maximal 3000 Umdrehungen vor sich hin, eine Hörprobe lässt die Elektronik in Stellung N nicht zu. Für meine Begriffe ist das völliger Irrsinn.
Zusatzkapitel: Fahrspaß
Vorweg: der Scirocco macht schon Spaß. Dennoch gibt es in meinem kleinen Zusatzkapitelchen, unter dessen Gesichtspunkt ich sportliche Fahrzeuge versuche zu bewerten, nicht sonderlich viel zu berichten. Der Scirocco ist sehr einfach zu fahren und das auch im schnelleren Takt. Er gibt dem Fahrer ausreichend Feedback, wann es ihm zu viel wird und dank dem "Erste-Sahne"-DSG bringen sogar kleine Bergpassabschnitte ein wenig Freude. Für den sportlich ambitionierten Fahrer oder gar für den Rennfahrer ist der Scirocco sicherlich das verkherte Vehicel. Frontantrieb und 200 PS ist eben doch nicht die Creme de la Creme, sondern eher die Spaßbremse, die meines Erachtens nicht unbedingt nötig gewesen wäre. Etwas Dynamik hätte dem Scrirocco durch den Allrad aus dem R32 durchaus eingehaucht werden können. Wirklich schade, dass man dieses eigentliche Sportauto wohl im Hause VW nicht als sportliche genug ansieht, um ihm einen Sportauto-Antrieb zu verpassen. Der Dynamik-Punkt wandert selbsterklärend nach München.
FAZIT:
Tolles Design - tolles Getriebe - wertige Verarbeitung - anmutiges Auftreten. Fehl am Platz ist der Frontantrieb, das lässt den Scirocco um Meilen hinter viele seiner Konkurrenten fallen. Kaum ein Unterschied ist zu spüren gegenüber seinem völlig ebenbürdigen Bruder Golf GTI. Was ist also die Daseinsberechtigung des Scirocco? GTI im hübschen Pelz? Das kann unmöglich reichen, um sich als Mittelklasse-Sportwagen, die immer mit einem ganzen Batzen Exklusivität einhergehen sollten, zu etablieren.
Preislich gesehen ist der Scirocco in der Anschaffung ertragbar, an der Zapfsäule gönnt er sich im Rennbetrieb fast 18 Liter, was für einen Zwei-Liter-Vierzylinder doch recht dustig ist.
Ohne Bezug auf die nächste Champions-Leaque gewinnt München abschließend gegen Wolfsburg in diesem Fall mit vier zu zwei.