Ich habe drei Jahre lang einen 2003er S60 T5 2.4 AWD besessen, quasi den Turbo-Fünfzylinder mit Allradantrieb, Pre-Facelift, also ohne Klarglasscheinwerfer.
Zunächst: wie typisch bei Volvo, gibt es so gut wie keine Defekte, die Qualität und Verarbeitung sind besser als alles, was in Deutschland zusammengeschustert wird. Wenn dann doch mal was kaputtgeht, dann ist es leider meist teuer. Gerade bei diesem inzwischen betagten Modell kommt es sehr darauf an, wie der Wagen von Vorbesitzern behandelt wurde, da gibt es eben viele, die keine Ahnung haben und z.B. den Turbo nach Fahrten mit hohem Tempo nicht im Stand nachlaufen lassen.
Von der Fahrdynamik her bereitet dieser schwere schwedische Panzer sehr viel Freude. Die Fünfzylinder-Turbos machen beim Gasgeben und bei hohen Geschwindigkeiten richtig Laune, problemlos arbeitet sich der S60 bei hoher Laufruhe in nullkommanichts auf 180 km/h hoch und geht noch weiter. Das Auto liegt sicher in den Kurven. Hierbei unterstützt der AWD, der im Normalbetrieb 90% der Kraft auf die Frontachse und 10% nach hinten verteilt und dann je nach Fahrsituation und Straßenzustand dies entsprechend an die einzelnen Räder verteilt. Zum Einsatz kommt hierbei ein Haldex-Allradantrieb, der technisch dem Audi Quattro-Antrieb überlegen ist, was dazu führt, dass die meisten "Quattro"-Audis in Wirklichkeit ebenfalls Haldex verbaut haben - nice to know. Im harschen Winter des Berchtesgadener Landes jedenfalls hat sich der Wagen hervorragend geschlagen und kam am schneebedeckten Hang ohne durchdrehende Reifen (Nexen Winguard) dort durch, wo brandneue 2018er Fahrzeuge liegenblieben wie hilflose Schildkröten. Top-Performance, ohne Zweifel! Dazu kommt die ab Werk vollversiegelte Karosserie, die Rost kaum Angriffsfläche bietet.
Im Innenraum überzeugen die qualitative Verarbeitung, ein klares schwedisches Design, verwendete Materialien und die bequemsten Fernsehsessel, die ich je erlebt habe. Da kann nicht einmal ein 7er BMW E38 mithalten. Einzig einen Mülleimer oder wenigstens einen Aschenbecher gab es bei mir überraschenderweise im Fahrzeug nirgends. Bein- und Kopffreiheit liefern vorne wie hinten keinen Grund zur Klage. Serienmäßig verbaut sind qualitative Soundanlagen, die speziell Hochtöne und Bass brilliant transportieren. Eine CD mit klassischer Musik ist ein wahrer Ohrenschmaus im hervorragend gegen Außengeräusche gedämpften Fahrzeug.
Äußerlich eignet sich der S60 dieser Generation prima als Auto für Zeugenschutzprogramme, da es buchstäblich an einem vorbeifährt und man es 30 Sekunden später nicht mehr beschreiben könnte, so unauffällig und brav kommt, bis auf die ausgeprägte Schulterlinie zum Heck hin, das Design daher. Doch gerade darin liegt eine gewisse Eleganz, die wohltuend im Kontrast zum optisch arroganten Auftreten vergleichbarer deutscher Autos steht, und zudem ist er immer noch hübscher als der stets mitleiderregend dreinschauende S80 dieser Baujahre. Selbstverständlich ist das jedoch alles persönliche Geschmackssache.
Der Wagen ging bei mir in den Nahkampf mit einem Audi Q5, und wie zu erwarten, schluckte der Elch den nicht gerade sanften Aufprall (ca. 30 km/h Geschwindigkeitsunterschied) einfach herunter. Die Karosserie war nicht verzogen, einzig die Frontschürze aus Kunststoff hatte einen vertikalen Riss, und das Nummernschild ging in den Nummernschild-Himmel. Aber Volvo macht seinem Ruf ganz klar alle Ehre.
Für die Stadt aufgrund von Abmessungen und Wendekreis eher ungeeignet, fühlt sich der S60 ganz klar auf Landstraßen und Autobahnen wohl. Lange Urlaubsfahrten sind problemlos möglich, denn auch nach mehreren hundert Kilometern kontinuierlicher Fahrt steigt man frisch und schmerzfrei aus dem Fahrzeug aus. Der Kofferraum ist für eine Limousine recht gut, eine Ski-Durchreiche ergänzt die umklappbare Rückbank.
Das Auto ist abgesehen von den bereits angesprochenen Werkstatt- und Ersatzteilkosten auch sonst nicht gerade sanft zum Geldbeutel, den Verbrauch habe ich niemals unter 8,2 Liter senken können, und Steuer und Versicherung sind natürlich auch nicht vergleichbar mit einem Renault Twingo. Doch für dieses Geld bekommt man ein wahrhaft großartiges Auto, das keinen Vergleich mit Konkurrenzprodukten scheuen muss.
Pro:
- Kraftvoller Motor
- Fahrspaß in der Kurve und der Gerade
- Sicherheitsausstattung Volvo-typisch auf Weltklasseniveau (für diese Baujahre)
- Top-Ausstattung
- hoher Qualitätsstandard
- bei guter Pflege Laufleistung jenseits der 300.000 km problemlos möglich
- mit AWD ein Top-Winterkämpfer
- hervorragende Soundanlage
Contra:
- hohe Unterhaltskosten
- Volvo-typisch hohe Werkstattkosten
- erhöhter Spritverbrauch
Tipps für den Kauf eines gebrauchten Exemplars:
- bei Modellen mit AWD das Verteilergetriebe in der Werkstatt mal checken lassen, da durch den Verschleiß über die Jahre die Kraftverteilung beeinträchtigt oder ganz ausgesetzt sein kann. Die Instandsetzung liegt bei ca. 1.500 - 2.000 EUR.
- Generell wenig rostanfällig, jedoch sollte man speziell an den Dachleisten und der A-Säule drauf achten, da haben die Volvo-Ingenieure geschlafen.
- Auf die Elektrik schauen. Eine neue Lichtmaschine kostet nicht viel, aber aufgepasst, es gibt zwei verschiedene Modelle, die in dem Auto verbaut wurden. Würde ich pauschal austauschen, zusammen mit dem Einbau einer hochwertigen Batterie (die befindet sich übrigens im Kofferraumboden, nicht im Motorraum).
- Auf jeden Fall den Fehlerspeicher von einem Profi auslesen lassen. Das Fahrzeug ist voller Elektronik, die dem Zahn der Zeit nicht endlos widersteht.
- Gute Reifen sind immer wichtig, aber bei einem kraftvollen Panzer wie diesem besonders von Bedeutung.
- auf Knarzen im Innenraum achten. Nichts Wildes, kann aber später durchaus nerven.
- Ich rate prinzipiell zu manuellen Schaltern. Die Automatik ist nicht schlecht und passt sich dem Leistungsabruf stets gut an, aber es ist bei alten gebrauchten Limousinen eben einfach immer mit einem Risiko behaftet, und ein Ersatz-Schaltgetriebe findet sich leichter und günstiger.