Als ich vor 2 Jahren unverhofft an eine kleinere Summe Geld kam, für deren sinnvolle Verwendung mir die Ideen fehlten, beschloss ich, mich nach einem alten Volvo umzusehen. Damals hatte ich keine Ahnung welche Serien es gibt bzw. wann die in etwa gebaut wurden. Eigendlich suchte ich ein billiges Spielzeug für ein Jahr, weil ich immer schon mal so ein schönes, eckiges Auto haben wollte, "wie man es als Kind zeichnet". Jedes mal wenn ich zu so einem Auto Symbolbild, etwa auf Verkehrszeichen komme, denke ich, dass ich eigendlich der einzige bin der sich hier noch angesprochen fühlen kann.
Es kam aber ganz anders, ich habe privat eine 940er Limousine, 112PS, Baujahr einundneuzig um 2000 Euronen gefunden, mit damals 138000 Kilometern. Nach flüchitiger Begutachtung hatte ich zu dem Fahrzeug nur eine Frage, und die lautete: Wann darf ich bezahlen?
Tüv war neu, der einzige Mangel ein angerosteter Auspuff.
Aus meinem Plan für ein Jahr wurde das Vorhaben, auf das Gerät mindestens nocheinmal so viele Kilometer draufzufahren in den nächsten noch einmal 24 Jahren. Bis jetzt sieht es ganz gut aus, und seit ich ihn habe war das einzige, was zu machen war Zahnriementausch, 2 Stoßdämpfer und Auspuff, also alles Verschleißteile bei denen man sich eher wundert wie die so lang gehalten haben als dass mich deren Hinfälligkeit überrascht hätte.
Ich fahre, auch beruflich, die verschiedensten Autos aller Altersklassen und hab e bis jetzt keines angetroffen, dass auch nur annähernd so viel Freude macht. Diese beginnt schon auf dem Weg zum Parkplatz, wo der gute Volvo gediegen, zeitlos schön, sogar leicht herablassend zwischen all den neuen rundgelutschten Einheitsautos im Aggro Design steht und sich zu fragen scheint, was zur Hölle in den letzten 20 Jahren schiefgegangen ist.
Zentralverriegelung fahrerseitig funktioniert ohne Probleme, und keine lästige Fernsteuerung die Kaputt geht oder Batterieprobleme bekommt. An diesen Eindruck reihen sich weitere, die offiziell wohl rückständig sind, für mich aber eher "Features". Ganz einfache Amaturen, 4 riesige Heizungsöffnungen, welche es im Winter nach knap 2 KM so heiß werden lassen, dass man zurückdrehen muss um sich nicht das Gesicht zu verbrennen. Die Scheinwerfer schalten sich bei Abstellen des Fahrzeuges einfach aus anstatt grausam zu schreien oder gar über Nacht die Batterie zu leeren. Allgemein besticht das Fahrzeug durch ein erfrischendes Fehlen all des grauenhaften geblinkes und gepiepses, welches heute so beliebt ist. Lediglich wenn der Fahrer nicht angeschnallt ist macht einen das Geräusch des Bilnkers dezent darauf aufmerksam. Kein ungefragtes Versperren der Türen, etc.etc., also zusammenfassend: Ein Fahrzeug, welches dem Menschen das Denken noch überlässt und nicht meint, intelligenter zu sein. Dazu kommen Gaspedal und Kupplung, welche, ohne zu zicken, das Gefühl geben mit dem Motor in Verbindung zu sein anstatt der grauenhaften "Auto - Drom" Gefühls neuerer Fahrzeuge.
Der Motor springt auch im tiefsten Winter immer klaglos an, und beim Anlassen vor dem Eiskratzen ist es nach Beendigung desselben im Auto schon flauschig warm. Sitzheizung versteht sich von selbst. Beim Anfahren erklingt dezent ein wunderbar volles Benzinergeräusch, welches dann während der fahrt bis 120 Km/h dann kaum noch zu hören ist. die 112 PS Leistung sind gerade ausreichend um die 1,5 Tonnen angenehm zu bewegen, beim Anfahren ist er etwas "müde", allerdings wird er, auf Drehzahl gebracht, erstaunlich agil, und schon so mancher der sich einbildete nach der Ampel noch rechts überholen zu müssen hat schon seine gewünschte Linksabbiegespur versäumt.
Zwischen 50-60 Kmh lässt sich der fünfte Gang einlegen, welchen man dann bis 150 beibehalten kann.
Vom unmerklichen, angenehmen Gleiten bei dementsprechenden Straßenverhältnissen war schon in anderen Berichten die Rede.
Die Servo gibt genug Rückmeldung von der Straße, und lässt sich trotzdem mit einem Finger problemlos bedienen. Der Wendekreis ist ohnehin legendär, und auf der Autobahn hüpft man zwischen den Spuren wie ein Hase.
Was mich allerdings am meisten erstaunte war die Wirtschaftlichkeit des Autos. Aus den 13 Litern Verbrauch, von denen ich eigendlich ausging, sind mittlerweile 8-10 geworden, mehr nur im Winter in der Innenstadt, und das obwohl ich, zwar kein Raser, so doch niemand bin, der sich bei jedem Tritt aufs Gaspedal von der Sorge um den Verbrauch leiten lässt. Sieht man sich den Benzinverbrauch eines modernen Mittelklassewagens an muss man sich fragen was in 20 Jahren Motorentwicklung eigendlich passiert ist.
Während mein Umfeld mit wesentlich neueren Fahrzeugen unter den Reparaturkosten stöhnt, sage ich jedes Mal wenn mein Auto einen Mechaniker trifft: "Bitte unbedingt alles Machen!" Aber anscheinend will keiner mein Geld, alle sagen nur: "der hat doch nichts", und freuen sich beim öffnen der Motorhaube über den vielen Platz zum Arbeiten (wenn es denn etwas zu Arbeiten gäbe).
Alles in allem kann ich nur zwei kleine und eine größere Schwäche feststellen:
Die kleinen sind zum Einen die ungünstige Übersetzung zwischen 2 und dritten Gang, oftmals will er den dritten "noch nicht" und den zweiten "nicht mehr", und zum Anderen verzieht sich nach 24 Jahren doch langsam das Plastik - Innenleben ein wenig.
Die größere ist, dass die Rückbank nicht umklappbar ist, es gibt nur einen Schieber zum Mitführen von Ski. Der Kofferraum ist zwar gigantisch, kapituliert so allerdings vor Dingen wie einer Waschmaschine.
Wenn man nicht unbedingt jeden Tag 100 Kilometer auf der Autobahn zur Arbeit muss kann ich dieses Auto nur uneingeschränkt weiterempfehlen, allerdings gibts da ein Problem: Es sind kaum welche zu finden, denn wer einmal einen hat gibt ihn nichtmehr her sondern denkt eher darüber nach, vorsichtshalber gleich einen zweiten zu kaufen falls ihm doch mal was passiert.