Generationentreffen bei Jeep - SUV oder echter Offroader?
Gegenwart trifft Tradition, glattgebügeltes Blechkleid misst sich mit Kanten und Ecken, Mainstream des 21. Jahrhunderts contra Robustheit eines Arbeitstiers. Wenn ein modernes Auto seinem Urgroßvater begegnet, ist das vor allem eine Zeitreise garniert mit einem Schuss wehmütiger Nostalgie. Da steht der Jeep Wrangler, dessen Urtyp schon in den 40er-Jahren erschien und als Armeefahrzeug dazu beitrug, Europa zu befreien. Neben der teuren G-Klasse von Mercedes ist der Wrangler heute der letzte Überlebende der Gattung ziviler Geländewagen, denen kaum ein Berg zu steil, kaum ein Wasser zu tief und keine Schräglage zu schräg ist.
Daneben ein 4,39 Meter langes Auto, das die gleichen vier Buchstaben als Logo trägt. Der neue Jeep Compass ist ein modernes SUV, wie es monatlich zu Tausenden verkauft wird. Sein glattes Kleid ist nett anzuschauen, unterscheidet sich aber nur in Nuancen von den vielen Konkurrenten aus aller Herren Länder. Rein äußerlich hat der mit viel Vorschusslorbeeren bedachte Compass also nichts mehr mit seinem Urahn gemein. Wenn da nicht sein Innenleben wäre.
Kallinchen ist ein Ortsteil von Zossen südlich von Berlin. Hier, im Nirgendwo der brandenburgischen Kiefernwälder, ist das größte Offroadgelände Deutschlands, drei Millionen Quadratmeter, steile Abfahrten, tiefer Sand oder vermatschte Wege nach einem Regenguss. Gut 20 Kilometer kann man unterwegs sein, ohne dieselbe Piste zweimal zu befahren. Hier übte früher die Stasi, heute die Spezialeinheiten der gesamtdeutschen Polizei. Doch auch Normalbürger dürfen sich hier austoben, unter Anleitung eines Instrukteurs die Grenzen ihres Allradlers auskosten und dabei lernen, dass so ein Auto meist mehr kann als es der Mut des Fahrers zulässt.
Das ideale Terrain für die beiden Jeeps aus zwei Epochen. Der Wrangler mit Nachnamen Rubicon ist die kurze Version des Klassikers. 4,22 Meter kurz, zwei Türen und vier Sitze, ein Hardtop aus Kunststoff, das recht aufwendig und zeitraubend auch demontiert werden kann. Unter der Haube ein bulliger Sechszylinder-Benziner, 3,6 Liter Hubraum, 209 kW/284 PS, Fünfgang-Automatik, natürlich Allradantrieb und 43.400 Euro teuer. Der Emporkömmling mit seinen fünf Türen und ebenso vielen Sitzen gibt sich da bescheidener: Zweiliter-Diesel, 125 kW/170 PS, Neungang-Automatik und ein Allradsystem mit Geländeuntersetzung. Mit 38.500 Euro liegt er knapp 5.000 Euro unter dem Wrangler und ist damit der teuerste Compass, dessen Preise sonst bei 24.900 Euro beginnen (für die Frontantriebsversion).
Die Karten für das Kräftemessen der Generation sind also gut gemischt. Auf dem Weg in die Wildnis ist die Straße betoniert, überrascht nur mit Schlaglöchern und Bodenwellen. Ein erster Vorgeschmack für das Fahrwerk des Wrangler. Die starren Achsen schicken harte Grüße in Richtung Steißbein, zum Geradeausfahren sind immer wieder Korrekturen nötig, der Wahlhebel für die Antriebsart bleibt gen Heck fixiert. So lieben es die puritanischen Fans solcher Autos. Ganz anders im Compass. Die Mischung aus Kombi und Geländewagen schwebt über die Unebenheiten, die Elektronik verzichtet noch auf das automatische Zuschalten des Hinterachsantriebs, die Automatik tanzt je nach Laune des Fahrers durch die neun Gänge, alles der Maxime Komfort geschuldet.
Neben einem verwaisten Wachturm aus DDR-Zeiten beginnt der Weg ins brandenburgische Abenteuer. Gleich droht eine Wasserdurchfahrt. Bei beiden Mobilen wird der Allradantrieb festgezurrt. Per Knopfdruck im Compass, im Wrangler wird der Hebel nach hinten bewegt, nachdem sein für das Getriebe zuständiger Kollege auf „N“ eingerastet wurde. Die Riesenpfütze ist 40 Zentimeter tief. Kein Problem für die Ikone, sie verträgt bis zu 76 Zentimeter. Für die edlen Teile des Compass werden erst mehr als 40,6 Zentimeter gefährlich. Also ganz langsam durchs Wasser, nur keine Wellen machen. In Schleichfahrt schafft es der neue Jeep. Die meisten seiner Konkurrenten der SUV-Riege wären ab 30 Zentimeter ertrunken.
Jetzt geht es um die Bodenfreiheit im Trockenen: Hier liegt das US-Duo recht nah beieinander. Baumstämme oder tiefe Furchen im Geläuf dürfen beim Wrangler 26 Zentimeter hoch sein, beim Compass immerhin 21,5. Auch vor einer Schrägfahrt an einer Rampe schrecken beide nicht zurück, auch wenn der kurze Klassiker hier ein paar Grad Seitenneigung mehr verträgt. Für beide gilt: Sie können stets mehr als es sich der Fahrer zutraut. Die folgende Steigung eine mit Sand und Kies bedeckte Schneise hinauf sorgt für Respekt. Da empfiehlt sich der Einsatz des Untersetzungsgetriebes, das wiederum durch Knopfdruck im Compass und den Hebel beim Wrangler aktiviert wird. Dann wühlen sich die Amis bergauf, alle vier Räder beteiligen sich an der Krabbelarbeit, lassen die 45-Grad-Steigung locker hinter sich.
Beim Bergabfahren hilft im Compass dann die Elektronik mit einem speziellen Programm. Füße weg von Gas und Bremse, der neue Jeep regelt das für den Fahrer. Nur manchmal ist ein kleiner Gasstoss nötig, wenn es dem Bordrechner zu rutschig wird und er auf dem Abhang einfach stehen bleibt. Beim über 200 Kilogramm schweren Wrangler dagegen sollte der Fuß leicht auf der Bremse verharren, um sicher wieder am Fuß des Hügels anzukommen. Das Gewicht von bis zu zwei Tonnen zieht nun mal energisch talwärts. Dennoch packen beide Familienmitglieder diese Prüfung mit beeindruckender Gelassenheit.
Übrigens: Das moderne Fahrwerk des Compass lässt auch im Gelände durchaus Komfort zu, wenn man es nicht allzu eilig hat. Während der Wranger seine Insassen gewaltig durchschüttelt und sie immer wieder im heftig zuschnappenden Gurt in Geiselhaft nimmt, ist die Tour im Compass fast schon eine Entspannung. Die künftigen Käufer werden es schätzen.
Wenn sie denn überhaupt einmal ins Gelände abbiegen. Die Chance dazu ist selten, denn dank des immer strengeren Naturschutzes sperren Verbotsschilder nahezu alle Waldwege. Insofern ist es kein Wunder, dass über 90 Prozent aller SUV-Besitzer nie abseits fester Straßen unterwegs sind. Auch wenn sie es im Jeep Compass gefahrloser könnten als in den meisten seiner Rivalen. Denn die Verwandtschaft zum Wrangler ist wirklich erfahrbar. Auch wenn der Urvater aller Geländewagen alles noch ein bisschen besser kann.
Anfang Juli kommt der kompakte Jeep Compass auf den Markt. Wir baten ihn abseits befestigter Wege zum Treffen mit seinem Ur-Opa.
Quelle: Autoplenum, 2017-06-26
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