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Testbericht

Günter Weigel/SP-X, 8. Juni 2016

Es gibt Autos, die dienen der Fortbewegung, und solche, die damit auch eine Aussage verbinden. Fahrer eines 5er-BMW oder einer Mercedes E-Klasse zeigen beispielsweise, dass sie in der Firmenhierarchie auf einer kommoden Position angekommen sind. S-Klasse-Nutzer wiederum demonstrieren, dass sie eine noch mächtigere Position innehaben und es somit erst recht geschafft haben. Wer hingegen einen Rolls Royce bewegt, zeigt in dieser Skala, dass er nichts schaffen muss und vielleicht auch noch nie musste.

Meist ist selbst das Fahren können an sich keine Voraussetzung. Das erledigt die Person vorne links, derweil man sich, hinten rechts platziert, unterwegs ein Gläschen aus der Bord-Bar gönnt. Derlei Fahrkomfort einem Alltagstest zu unterziehen schien uns übertrieben, weshalb wir einen Rolls Royce für Selbstfahrer orderten und wenn schon, dann den sportlichsten der Marke. Der Wraith ist das Coupé der kleinen Rolls-Royce-Baureihe Ghost. Wobei klein 5,27 Meter in der Länge und 1,95 Meter in der Breite heißt. Das nicht ganz zierliche Gefährt besetzte nonchalant beide Plätze unserer hauseigenen Doppelgarage, was schon alleine deshalb nötig war, weil man sonst die weit öffnenden und hinten angeschlagenen Türen nicht hinreichend und ohne Gefahr für den Lack bewegen konnte.

Die weit offenen Portale erleichtern den Einstieg auch in die zweite Reihe, wo man nicht wirklich schlechter sitzt, als in einer handelsüblichen S-Klasse mit vier Türen. Um die Türen zu schließen bedarf es allerdings elektrischer Hilfe, aus dem Sitz kommt man nämlich nicht mehr an den Griff. Wohl aber an den kleinen Schalter an der A-Säule und wie von Geisterhand schließt der Wraith dann die Pforten. Ein nettes Schauspiel.

Bis es soweit ist, hat sich am Kühlergrill Emily aus ihrem diebstahlgeschützten Plätzchen in der Karosserie erhoben und thront bereit für die Abfahrt vorne oben. Wenn er durch deren Flügel hindurchsieht, erkennt der kundige Chauffeur, wie weit es vom rechten Vorderrad noch bis zum Straßenrand ist. Eine Übung, die man auf engen Landsträßchen oder in kleinen Gassen immer wieder in Anspruch nimmt. Denn die schnöde Welt besteht zum Leidwesen des Wraith nicht aus prächtigen Avenues und großzügig bekiesten Schlossauffahrten. Die Regel sind zumindest in Deutschland enge Altstädte, ebensolche Parkplätze und von Parkhäusern wollen wir mal gar nicht reden. Zwar lässt sich der Wraith spielerisch auch bei geringen Geschwindigkeiten lenken und huldvolles Rollen ist ihm nicht fremd, doch das Zirkeln um enge Ecken ist auch mit Rundum-Kameras kein Vergnügen. Dabei mag es eine Rolle spielen, dass uns ein Testwagenpreis von exakt 352.329 Euro zu vorsichtigerem Umgang mit dem Blech anhielt, als wir dies mit gewöhnlichen Autos handhaben mögen.

Der Wraith braucht Platz um zu wirken. Auch in Bewegung. Eine schöne Bundesstraße, eine freie Autobahn und die zwölf turbobeatmeten Zylinder schnurren zufrieden. Darf es etwas schneller sein, hebt das Coupé, einer Yacht gleich, zart die Schnauze und beschleunigt auf das gewünschte Tempo, so lange es nicht schneller als 250 km/h ist. Mit seinen 465 kW/632 PS könnte er mehr, darf aber nicht. Im Alltag, sofern es so etwas für dieses und mit diesem Auto gibt, stört das nicht wirklich. Leicht über der Richtgeschwindigkeit dahinschwebend, lauscht man Frank Sinatra oder vielleicht auch einer Oper. Profanes Radioprogramm zu hören ziemt sich irgendwie nicht. Und abends leuchten die dimmbaren Sterne vom Dachhimmel.

Einmal unterwegs vergisst man schnell Zeit und Raum. Rolls Royce hat dem Coupé alles an Assistenten und Elektronik verordnet, was Konzernmutter BMW zu bieten hat. Man fährt also up to date. Aber man muss sich davon nicht behelligen lassen. Ein Druck auf den vollmassiven Alu-Knopf und der Bildschirm verschwindet hinter Echtholz. Das Head-up-Display stört nicht weiter. Ab und an gönnen wir uns einen Blick auf die Powerreserve. Dahinter verbirgt sich eine Art umgekehrter Drehzahlmesser, der in Prozent anzeigt, wieviel Kraft noch abrufbar wäre. Meisten sind es mehr als neunzig Prozent. Die gleichfalls dezente Tankuhr bewegt sich zwar merklich, aber weniger rasant als wir angesichts der Fahrleistungen des knapp 2,4 Tonnen schweren Fahrzeugs vermuteten. Gleitende Genussfahrten auf der Drehmomentwelle von 800 Newtonmetern finden im Rahmen des Normverbrauchs von 14,3 Litern statt, im Schnitt benötigten wir 17,3 Liter. Für den Eigner eines Rolls dürfte das kein Problem sein, für die Umwelt angesichts handverlesener Stückzahlen und niedriger Kilometerleistungen auch nicht.

Unpassend fällt dagegen fast immer das Ende der Fahrt aus. Wo parkt man ein Luxusauto standesgemäß? Geht das auf einem Supermarktparkplatz überhaupt? Oder vor der Landmetzgerei unseres Vertrauens? Sollte nicht das nächste Schloss im Navi einprogrammiert sein, bleibt in einem solchen Auto nur der Weg als Ziel.

Im richtigen Leben, neben normalen Autos, ist auch der kleine Rolls Royce immer ein bisschen zu viel, zu groß, zu schön und das obwohl er gar nicht protzig, sondern sogar sehr stilvoll ist. Am Ende des Tests geben wir den Luxusliner daher mit einer Träne im Knopfloch wieder ab. Übrigens: Unser hauseigenes Mittelklasse-SUV fühlt sich seitdem an wie ein Kleinwagen.

Rolls Royce Wraith - Technische Daten:

Zweitüriges, viersitziges Coupé der Luxusklasse, Länge: 5,27 Meter, Breite: 1,95 Meter (mit Außenspiegeln: 1,95 Meter), Höhe: 1,51 Meter, Radstand: 3,11 Meter, Gepäckraumvolumen: 470 Liter

6,6-Liter-V12-Turbobenziner, 465 kW/632 PS, Heckantrieb, 8-Gang-Automatik, maximales Drehmoment: 800 Nm zwischen 1.500 – 5.500 U/min, Vmax: 250 km/h, 0-100 km/h: 4,6 s, Durchschnittsverbrauch: 14,3 Liter (Super), CO2-Ausstoß: 327 g/km, Emissionsklasse: k.A., Abgasnorm: Euro 5, Testverbrauch: 17,3 Liter

Preis: 285.987 Euro, Testwagenpreis 352.329 Euro

Kurzcharakteristik:

Warum: weil es schwerlich Besseres gibt

Warum nicht: weil man schon ein Phantom-Coupé hat

Was sonst: ein S-Klasse-Coupé, weil man ja auch mal zum Einkaufen muss

Fazit
Manche Autos entziehen sich einer herkömmlichen Betrachtung. Dazu gehören Supersportwagen, deren eigentliche Heimat die Rennstrecke ist, aber auch Luxusautos, denen man nicht alle Tage begegnet.
Testwertung
5.0 von 5

Quelle: Autoplenum, 2016-06-08

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