Erste Fahrt im neuen Opel GT - Ein kleines bisschen fliegen
Jetzt bloß nichts kaputt machen. Ganz vorsichtig rangieren die Männer ihren Lastwagen in die leere Backsteinhalle K48 im Herzen des Opel-Werkes und entladen das vielleicht wichtigste Auto, das in diesen Tagen durch Rüsselsheim rollt. Denn in dem weißem Transporter steckt kein schnöder Prototyp, sondern der in Blech geformte Traum einer ganzen Firma: Der neue GT. Oder zumindest das, was sich die Designer als Nachfolger der Ikone wünschen.
Vor zwei Monaten stand der kleine Sportwagen noch im Scheinwerferlicht auf der Messebühne in Genf, hat die Erinnerung an den vor 50 Jahren präsentierten Experimental GT geweckt und Hoffnungen auf eine sportliche Zukunft geschürt. Und vor allem hat er dort aller Welt das neue Selbstbewusstsein einer Marke demonstriert, die jetzt endlich den Staub der schweren Zeiten abgeschüttelt hat und wieder optimistisch nach vorne schaut. Und jetzt rollt das millionenschwere Einzelstück gaanz gaanz langsam aus dem Auflieger auf den blanken Hallenboden und soll zeigen, wie weit dieser Blick schon reicht. Denn statt das Showcar neben den vielen anderen Opel-Studien im Keller einzumotten, lassen die Entwickler ihr Schmuckstück lieber noch ein paar Runden drehen und machen so weiter Stimmung für das Comeback eines Klassikers, der spätestens mit dem Slogan „Nur Fliegen ist schöner“ zur Legende wurde.
Und als Stimmungsmacher ist das Showcar ein Star. Zwar steckt unter der Haube statt des von Firmenchef Karl-Thomas Neumann favorisierten Dreizylinder-Turbos, dem die PS-Strategen 145 PS und 205 Nm angedichtet haben, wie bei jeder jüngeren Designstudie von Opel noch ein Elektromotor, weil man damit bedenkenlos über den Messestand surren kann. Und die knapp acht Sekunden von 0 auf 100 km/h schafft die Studie genauso wenig wie die 215 km/h Höchstgeschwindigkeit aus dem Datenblatt. Doch selbst wenn man nur besseres Schritttempo fahren darf und die Reifen mit dem handgeschnittenen Profil wie Entenfüße über den glatten Hallenboden patschen, beginnt in diesem Auto der Puls sofort zu rasen.
Das liegt nicht allein am Design, das den in diesem Fall sogar als Zierlinie sichtbaren Roten Faden von früher geschickt in die Zukunft spinnt, ohne dass die Designer in die Retro-Falle tappen und aus dem neuen GT eine kitschige Kopie des Klassikers wird. Das liegt vor allem an dem wunderbaren Widerspruch zwischen Exterieur und Interieur. Denn während der GT von außen klein und zierlich aussieht wie ein Spielzeug-Auto, ist er innen ungewöhnlich geräumig, wirkt licht und lustvoll und vor allem so aufgeräumt, dass einen nichts und niemand vom Fahren ablenkt. Die Hände ans Lenkrad, die Augen auf die Straße und den Fuß aufs Gas – das wird in diesem Auto zu einem wunderbaren Automatismus.
Ein weiterer Widerspruch ist das Bediensystem des GT. Denn auf der einen Seite kann man sich kaum ein spartanischeres Cockpit vorstellen als das der Studie, in dem es statt Dutzender Schalter und Knöpfe nur noch zwei Lenkstock-Hebel, die beiden Schaltwippen am Lenkrad und ein großes Touchpad auf dem Mitteltunnel gibt. Aber auf der anderen Seite bietet der GT selbst mit diesem minimalistischen Instrumentarium mehr Möglichkeiten als jedes Serienauto. Denn zum einen haben die Hessen neben den beiden digitalen Rundinstrumenten mit ihren variablen Leuchtringen unsichtbar auch noch einen Projektor im Cockpit integriert, der die gesamte Mittelkonsole zum Display macht. Und zum anderen wird der OnStar-Agent in der Vision der Entwickler zum persönlichen Buddy, der einem im Dialog sogar die Sitze einstellt oder das Radio lauter dreht.
Das Pulsrasen kommt aber natürlich auch von der Erkenntnis, dass man hier ein ganz besonderes Auto fährt und der Zeit womöglich drei bis fünf Jahre voraus ist. Denn so lange würde Frank Leopold, der bei Opel die Konzeptentwicklung leitet, wohl noch brauchen, bis tatsächlich ein neuer GT auf die Straße kommen könnte. Wenn denn der Vorstand endlich grünes Licht gäbe. Würde, könnte, gäbe – kann denn nicht mal jemand Schluss machen mit den verdammten Konjunktiven? Nichts lieber als das, sagt Leopold, nur um dann doch in der Möglichkeitsform weiter zu sprechen.
Aber zumindest fällt ihm das sichtlich schwer. Selbst wenn er es für ganz normal hält, dass das aktuelle Projekt immer das wichtigste ist und das, an dem am meisten Herzblut hängt. Doch wenn man mit ihm, mit seiner Mannschaft oder den Designern spricht, wenn man beobachtet, wie sorgsam sie alle das Auto behandeln und wenn man die sehnsüchtigen Blicke sieht, mit denen sie dem Silberling folgen, dann merkt man, dass diese Studie eben doch kein Showcar ist wie jedes andere. „Natürlich hat das Auto auch eine interne Mission“, sagt Leopold. Es soll der ganzen Belegschaft Mut machen und sie motivieren. Denn jedem im Unternehmen dürfte klar sein, dass Opel erst einmal Geld verdienen muss, bis sich die Hessen wieder den Luxus eines solchen Nischenautos leisten können. Und je mehr sich jeder Einzelne anstrengt, desto besser stehen die Chancen für das Auto.
Rein technisch gibt es jedenfalls nichts, was einer Serienfertigung im Wege stünde, schürt Leopold weiter die Hoffnung. Für die langen Türen, die vorn im Radkasten eintauchen, mag er zwar die Hand nicht ins Feuer legen. Genauso wenig wie für das gläserne Dach, das fugenlose Heck mit dem nur von innen zugänglichen Kofferraum oder das komplett animierte Cockpit ohne ein einziges Knöpfchen. Doch das Package passt, unter der Haube ist Platz für alle Motoren vom Dreizylinder-Turbo bis zum V8-Motor der Corvette und selbst das Problem mit der fehlenden Heckantriebsplattform hat Leopold gelöst: Mit Fahrwerksteilen zum Beispiel aus der Corvette und der Hinterachse aus dem Cadillac ATS ließe sich da schon was machen, gibt sich der Vorausentwickler zuversichtlich.
Die Ingenieure haben ihn schon komplett durchkonstruiert, die Buchhalter haben eifrig gerechnet und den Marktforschern klingeln nach dem Echo auf das Debüt in Genf ohnehin die Ohren. Doch obwohl alle Welt nach einem neuen GT schreit, gibt es auch zwei Monate nach der Weltpremiere noch keine Entscheidung, muss Leopold einräumen und lässt sich keine private Prognose entlocken. Nur so viel kann er mit Sicherheit sagen: „Es gibt niemanden im Unternehmen, der nicht von diesem Auto träumt.“ Und je näher Opel dem Ziel von der Schwarzen Null in diesem Jahr kommt, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass dieser Traum wahr wird und der Überflieger tatsächlich eine Startfreigabe bekommt.
Wie eingeschränkt der Aktionsradius der Studie bis dahin bleibt, wird einem zum Ende der kurzen Ausfahrt schmerzhaft deutlich vor Augen geführt. Denn kaum rollt der Showstar in Halle K48 aus, steht schon wieder der Lastwagen bereit und die Spediteure streifen die Samthandschuhe über.
Quelle: Autoplenum, 2016-04-28
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