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Testbericht

Sebastian Viehmann, 7. Oktober 2010
War der VW Golf in Wirklichkeit ein Kind der DDR? Zum Abschluss unserer Reihe fragen wir „Was wäre wenn.“ Zwickau, Eisenach und Co. hatten deutlich mehr auf der Pfanne, als das Politbüro zur Produktion freigab.

Das Elend der sozialistischen Planwirtschaft spiegelte sich in der DDR auch auf den Straßen wider. Bei einem Bestand von 3,4 Millionen Fahrzeugen kamen Ende der 80er Jahre auf 1000 Einwohner kaum mehr als 200 Autos, in der Bundesrepublik waren es mehr als doppelt so viele. Auf einen neuen Trabi oder Wartburg musste man durchschnittlich 14 Jahre warten und konnte dann nur hoffen, dass das ausgelieferte Fahrzeug einwandfrei war. Theoretisch konnte man das Auto bei Mängeln zwar zurückgeben, doch das Risiko ging wahrscheinlich kaum jemand ein.

Die Menschen hatten gelernt, sich mit der Mangelwirtschaft zu arrangieren, sie griffen bei Pannen selbst zum Schraubenschlüssel und hamsterten Ersatzteile. Viele Autos waren notdürftig zusammengeflickt, das Durchschnittsalter lag bei mehr als 13 Jahren. Kein Wunder also, dass nach der Wiedervereinigung kaum jemand seine alte Gurke behielt, falls Geld für einen Neuwagen von VW, Opel und Co. da war. Selbst wenn mancher Neubürger bei windigen Autohändlern auf die Nase fiel, wollte doch niemand seinen Trabi zurück.

Dass der Plaste-Bomber jahrzehntelang kaum weiterentwickelt wurde und man selbst die überfällige Einführung einer Tankuhr euphorisch im Fernsehen feierte, ist nicht die Schuld der Ingenieure. Der erste Trabant (P50) oder der elegante Wartburg 311 waren in den 50er Jahren schließlich der damaligen Konkurrenz aus Westeuropa absolut ebenbürtig. Wohnungsbau und Schwerindustrie hatten in der verplanten DDR-Wirtschaft aber Priorität, die Autoindustrie wurde stets stiefmütterlich behandelt und musste sogar andere Wirtschaftsbereiche mitfinanzieren.

Eine Konkurrenz, die die Entwicklung sozusagen zwangsbeflügelt hätte, gab es nicht – Skoda, Dacia und Lada waren zwar begehrt, wurden aber nur in arg beschränkten Mengen in die DDR exportiert. Der Import von 10.000 VW Golf in den späten 70er Jahren blieb eine kurze Episode deutsch-deutscher Entspannung und konnte an der klaffenden Schere zwischen Angebot und Nachfrage auch nichts mehr ändern.

Doch es gab eine Reihe von Prototypen, die die Kompetenz der Kraftfahrzeugindustrie bewiesen und wohl nur an zwei Dingen scheiterten: Am fehlenden Geld zur Umsetzung und an den Betonköpfen im Politbüro. Immer wieder kamen die Ingenieure mit neuen Ideen, immer wieder wurden sie letztlich abgelehnt. „Da sind Menschen dran zerbrochen“, sagt Klaus-Dieter Fiesinger, Leiter der Automobilen Welt Eisenach (AWE). Das Museum gewährt einen Einblick, was von Dixi über BMW, EMW, IFA und Wartburg in der Autostadt produziert wurde – und was nie in Serie ging.

Ein Auto fällt besonders ins Auge: Das knallig grüne Wartburg 355 Coupé. Das Schrägheck erinnert ebenso wie der Entwurf Trabant P 603 von 1966 an den ersten VW Golf. Dabei wurde das Wartburg-Coupé 1968 auf die Räder gestellt, sechs Jahre vor der Markteinführung des Golf. Erstmals im deutschen Automobilbau gab es ein Fließheck mit großer Hecktür. Durch seine glasfaserverstärke Polyester-Karosse war das Wartburg-Coupé nur 840 Kilo schwer, sein Zweitaktmotor mit 55 PS brachte das Auto auf 142 Km/h. Dass der von Italiens Star-Designer Giorgio Giugiaro gezeichnete Golf eine Raubkopie ist, darf aber bezweifelt werden – schließlich hatte schon 1965 der Renault 16 die Kombination Schrägheck / große Heckklappe eingeführt und damit andere inspiriert. Doch im Design und auch bei der technischen Entwicklung blieb man hinter dem Eisernen Vorhang nicht stehen.

„Dass der Zweitaktmotor fast bis zum Ende durchhalten musste, frustrierte die Ingenieure besonders“, weiß Klaus-Dieter Fiesinger von der Automobilen Welt Eisenach. Erst kurz vor dem Ende der DDR erschienen Wartburg 1.3 und Trabant 1.1 mit Viertaktmotoren. Bei den Aggregaten handelte es sich um VW-Lizenzbauten. Dabei hatte es schon 1978 den Prototypen 610 M-1 gegeben, eine Gemeinschaftsentwicklung aus Zwickau und Eisenach. Das Auto hätte in verschiedenen Karosserieformen erscheinen sollen und wäre optisch auf der Höhe der Zeit gewesen. Ein modifizierter Viertakt-Benzinmotor des rumänischen Autobauers Dacia mit 1,3 Litern Hubraum und 54 PS war als Antrieb vorgesehen. Doch der 610 kam ebenso wenig über das Prototypen-Stadium hinaus wie ein in Eisenach entwickelter Viertakt-Benziner oder der Dreizylinder-Diesel, der 1984 im Trabi getestet wurde.

Letztlich hatte die traditionsreiche Autoindustrie des Ostens im Plan-Wahn keine Chance, zum Westen aufzuschließen, konnte sich nach der Wiedervereinigung aber immerhin als Standort für viele Zulieferer und Fabriken von Opel, Porsche oder BMW durchsetzen. Wer einen VW Golf der sechsten Generation sein Eigen nennt, kann übrigens behaupten, dass er ein Stück DDR-Geschichte spazieren fährt: Teile des Motorblocks enthalten Stahl, der nach dem Abriss des „Palastes der Republik“ wiederverwertet wurde. So hatte „Erichs Lampenladen“ doch noch sein Gutes.

Quelle: Autoplenum, 2010-10-07

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