Tradition 70 Jahre Volvo PV 444 vs. Saab 92 - Begehrenswerte Buckel und tolle Trolle
Sie sind so schwedisch wie Knäckebrot und Astrid Lindgrens wunderbare Kinderwelt. Die unverwüstlichen und unverwechselbar geformten nordischen Volksfahrzeuge Volvo PV 444 und Saab 92 haben auch 70 Jahre nach ihrer Vorstellung nicht an Faszination verloren. Davon künden aktuelle Modeaccessoires, die mit den Silhouetten der Saab-Stromlinienlimousine und des buckligen Volvo bedruckt werden, aber auch die Rolle der kompakten Zweitürer in Fernsehfilmen, wo sie bis heute Schwedenfeeling vermitteln sollen. Tatsächlich sind die inklusive aller Evolutionsstufen bis 1980 (Saab 92-96) bzw. 1965 (Volvo PV 444/PV 544) gebauten Modelle in ihrem Heimatland vereinzelt noch immer im Alltagseinsatz zu finden. Schließlich zählt eine fast unzerstörbare Robustheit ebenso zu den Qualitäten dieser frühen Nachkriegsbestseller wie die innovative Sicherheitstechnik und internationale Motorsporterfolge. Dieser damals ungewöhnliche Mix machte die ersten Massenmodelle des Autobauers Volvo und des Flugzeugherstellers Saab auch im Export erfolgreich. Zwei Fahrzeuge, die ansonsten völlig gegensätzlich konzipiert waren. Während der Vierzylinder-Volvo die bereits überlebte Fastbackform von US-Modellen der Vorkriegszeit adaptierte, kombinierte der futuristisch designte Saab 92 fortschrittlichen Frontantrieb mit Zweitaktern, die auf DKW-Motoren basierten.
Vor 70 Jahren rappelte sich Europa allmählich wieder auf. Der Krieg war vorbei und der Blick ging nach vorn in eine gute neue Zeit, verkörpert durch Christian Diors „New Look“ in der Modewelt und avantgardistische Automobile wie den im Windkanal kreierten Saab 92. Damals eine sensationelle Methode der Formenfindung, aber bei Saab (Svenska Aeroplan Aktiebolaget) bauten sie bis dahin ausschließlich aerodynamische Militärflugzeuge. Mit der Automobilproduktion in einem neuen Werk in Trollhättan wollte Saab eigentlich nur die ersten auftragsschwachen Nachkriegsjahre überbrücken. Es kam anders, denn der Saab 92 wurde Kult. Ebenso wie der Volvo PV 444 erfüllte er den Traum der schwedischen Wohlfahrtsgesellschaft vom bezahlbaren Auto für alle. So störte sich auch niemand am simplen Zweizylinder-Zweitakter im Saab und dessen blauer Auspufffahne. Im Gegenteil, die Presse lobte bei der Premiere des Modells 92 das zuverlässige Zweitakt-Prinzip in einem „Automobil mit Flugzeugqualität“. Zugleich positionierte der Zweizylinder den Saab geschickt etwas unterhalb des Volvo mit seinem 1,4-Liter-Vierzylinder.
Für Frust sorgte allein die allgegenwärtige Materialknappheit, die den Großserienstart des Volks-Saab schließlich um drei Jahre verzögern sollte. Bereits die Beschaffung der Stahlpressen aus den USA war wegen der Devisenknappheit schwierig. Ebenso war es aber Volvo ergangen, denn die Göteborger hatten ihre Fastbacklimousine PV 444 zwar im Sommer 1944 als „Friedensfahrzeug“ vorgestellt, die Fließbänder liefen jedoch erst im Februar 1947 an. Wartezeiten, die die neuen Saab und Volvo für die Kunden aber erstaunlicherweise noch begehrenswerter machten, wie die wachsende Zahl der Vorbestellungen verriet. Derweil initiierte die vom schwedischen Staat geforderte Devisenerwirtschaftung den frühen Export der Fahrzeuge nach Westeuropa, Amerika und Asien. Märkte, auf denen der eigenwillige Zweitakt-Troll ebenso schnell Fans fand wie der als Familien-Sportler beworbene Buckel-Volvo.
Was vielleicht auch an den technischen Meilensteinen lag, die von den nordischen Welterobern gesetzt wurden. So sorgte der Volvo PV 444 für Furore als erstes Modell mit Sicherheitsfahrgastzelle und Windschutzscheibe aus Verbundglas. Beide Sicherheitsfeatures wurden vom Wettbewerb ebenso adaptiert wie der ab 1959 serienmäßige Dreipunktsicherheitsgurt in der Faceliftversion PV 544. Saab schrieb das Thema Sicherheit nicht weniger groß. Hier standen die neuartige Einzelradaufhängung und der Frontantrieb für aktive Fahrsicherheit während der massive Seitenaufprallschutz und die 1959 eingeführten Sicherheitsgurte Schutz vor schweren Unfallfolgen gewähren sollten. Für Dauerhaltbarkeit in jenen sonst so kurzlebigen ersten Nachkriegsjahrzehnten sorgten bei Saab und Volvo massive und rostresistende Stahlbleche sowie Motoren für extreme Laufleistungen.
Dazu passte die modellpolitische Kontinuität der zwei bis drei Jahrzehnte lang gebauten Fastback- und Stromlinientypen, die sich damit den damals oft noch jährlich wechselnden automobilen Moden widersetzten. Es genügten den Schweden sanfte Modellpflegemaßnahmen – wie regelmäßige Leistungssteigerungen oder großzügigere Verglasungen der Karosserie, um dem Zeitgeist zu entsprechen. Nicht zu vergessen die wechselnden Typencodes, so wurde aus dem Volvo PV 444 im Jahr 1958 der PV 544 und der Saab 92 steigerte sich 1955 zum Saab 93, ehe 1960 der Saab 96 an den Start ging und die nächsten 20 Jahre unter dieser Bezeichnung in Produktion blieb.
Eine Politik der Beständigkeit, die von den Kunden beider Marken goutiert wurde. Sogar die leistungshungrigen Amerikaner verfielen den verblüffend schnellen, weil leichten Volvo und Saab so, wie es sonst nur charismatische Sportwagenmarken erlebten. Tatsächlich gab es den Volvo deshalb sogar mit sportlichem Hochleistungsmotor – laut Werbung bot der PV 444 mit 63 kW/85 PS mehr PS pro Kubikzentimeter als sämtliche großvolumigen amerikanischen Power-Limousinen. Nicht zu vergessen die in den 1950er Jahren wichtige Eignung als Familienauto in der Woche und zuverlässiger Rundkurs-Racer fürs Weekend, der auch Porsche und MG zusetzen konnte. Vollmundig bewarb Volvo deshalb den PV 444 als „most important new import“. Viel Kraft aus mikrobenhaften Motörchen, das war auch das Erfolgsgeheimnis der sportiven Modelle aus Trollhättan: Nach dem Typ 93 legte Zweitaktspezialist Saab für seine US-Klientel den GT 750 auf mit stolzen 37 kW/50 PS aus 0,75 Liter Hubraum. Stimmung machte zudem der offene Saab Sonett für sunny California.
Volvo wiederum präsentierte den anfangs eher profanen PV 444 als gestyltes und verchromtes California Car in strahlend weißem Lack für den Glamour von Hollywoodboulevard oder Fifth Avenue. Eine Ausstattung, die den Buckel auch in Europa zum Showstar machte, der sogar Concours d'Elegance gewann.
Derweil sammelten die Stromlinien-Trolle werbewirksame Renn- und Rallyeerfolge gegen weit stärkere Konkurrenten. Dies in Monte Carlo vor allem unter Erik Carlsson, dem ersten Superstar des Rallyesports. Die Rolle des Markenbotschafters übernahm „Mister Saab“, wegen einiger spektakulärer Überschläge auch „Carlsson auf dem Dach“ genannt, nur zu gern. Als solcher durfte er 1980 den allerletzten Saab 96 direkt ins Museum fahren. Auch der Buckel-Volvo beendete seine Karriere sportlich. 1965 deklassierte er bei der East African Safari die gesamte modernere Konkurrenz. Volvo verabschiedete seinen ersten Megaseller daraufhin in international geschalteten Anzeigen angemessen in den Ruhestand: „Farewell, old Friend“.
Chronik:
1942: Entwicklungsstart für einen kleinen Volvo als Nachkriegsauto
1943: Ende des Jahres wird die Konzeption des PV 444 endgültig festgelegt
1944: Im Herbst entscheidet sich die Geschäftsführung des Flugzeugherstellers Saab zur Fertigung von Autos. Die ersten Designentwürfe für den Saab 92 stammen vom Luftfahrtingenieur Gunnar Ljungström, die endgültige Formensprache wird von Industriedesigner Sixten Sason definiert. Volvo präsentiert am 1. September den PV 444 als erstes erschwingliches Fahrzeug aus schwedischer Produktion auf einer Automobilausstellung in Stockholm. Saab beauftragt den Ingenieur Gunnar Ljungström mit der Entwicklung eines kompakten Pkw
1945: Der Saab-Vorstand entscheidet im Herbst, den Pkw in Serie zu produzieren
1946: Am 14. März wird der Ur-Saab in finaler Form als 1:1 Modell vorgestellt. Am 4. Juni geht der schwarz lackierte Saab 92.001 in die Fahrerprobung
1947: Die Auslieferung des ersten Volvo PV 444 erfolgt am 3. Februar; insgesamt liegen Volvo für dieses Modell bereits 10.000 Bestellungen vor. Am 10. Juni findet die Pressevorstellung des Saab 92 in Stockholm statt. Die ersten 20 Saab werden gebaut
1948: Vorbereitung der Serienfertigung bei Saab
1949: Der 100.000. Volvo rollt im August vom Band im Werk Lundby, ein schwarzer PV 444. Serienanlauf des PV 445 als Fahrgestell mit Motor, aber ohne Karosserie. Das Chassis wird von verschiedenen Karosseriebauern als Basis für Transporter, Kastenwagen und Cabriolets genutzt. Großserienstart des Saab 92 im Dezember
1950: Am 16. Januar Auslieferung der ersten Saab-92-Kundenfahrzeuge. Im September geht der facegeliftete PV 444 B an den Start
1951: Dank des Modells PV 444 führt Volvo die schwedische Neuzulassungsstatistik vor Volkswagen an
1953: Der Saab 92 erhält eine erste Modellpflege, vor allem sichtbar durch das vergrößerte Heckfenster. Der Modellname wird auf 92 B geändert. Saab liefert 3.424 Autos aus
1954: Der 10.000. Saab wird am 6. März ausgeliefert. Im Dezember Einführung des Volvo PV 444 H mit einteiliger Heckscheibe, neuen Rückleuchten und höherer Motorleistung. Zum Modelljahr 1955 beginnt offiziell der US-Export von Volvo-Fahrzeugen
1955: Der 100.000ste Buckel-Volvo PV 444 rollt vom Band. Im Sommer Serienstart des Duett 445 PH, eines Kombis mit gehobener Ausstattung. Ende des Jahres Einführung des PV 444 K mit neuem Frontdesign. Verbrauchs-Rekordfahrt mit einem PV 444 in Kalifornien. Beim „Frugality-Run“ begnügte sich der Volvo mit 4,28 Liter pro 100 Kilometer. Am 1. Dezember wird der Saab 93 vorgestellt
1956: Zur Jahreswende werden die letzten Saab 92 gebaut
1958: Gunnar Andersson gewinnt die Rallye-Europameisterschaft auf PV 444. Nachfolger des PV 444 wird die Weiterentwicklung Volvo PV 544, vorgestellt am 25. August
1959: Serienmäßig Dreipunkt-Sicherheitsgurte für die Vordersitze bei Volvo PV 544. Auch Saab liefert seine Fahrzeuge mit Sicherheitsgurt aus
1960: Am 17. Februar feiert der Saab 96 Premiere
1962: Vom Typ 96 liefert Saab in diesem Jahr 35.890 Autos aus
1963: Saab mit diagonal geteiltem Zweikreisbremssystem
1965: Der Volvo PV 544 „Buckel-Volvo“ krönt seine große Motorsportkarriere mit einem Sieg beim härtesten Rallye-Raid der Welt, der East African Safari Rallye. Im Oktober endet die Fertigung des Volvo PV 544. Der letzte, der 440.000ste PV 544, rollt am 20. Oktober um 15:00 Uhr vom Band ins Museum. Saab erzielt mit 48.517 gebauten Fahrzeugen des Typs 96 einen neuen Jahresbestwert
1967: Zum Modelljahr 1967 wird der Saab 96 mit einem V4-Motor von Ford lieferbar
1980: Im Januar endet die Produktion des Saab 96. Das letzte Exemplar mit der Chassis-Nummer 730 607 wird vom Rallyechampion Erik Carlsson direkt ins Museum chauffiert
Wichtige Motorisierungen:
Saab 92 (1949 bis 1952) mit 0,8-Liter-Zweizylinder-Zweitakter (18 kW/25 PS)
Saab 92B (1952 bis 1956) mit 0,8-Liter-Zweizylinder-Zweitakter (21 kW/28 PS)
Saab 93 (1955 bis 1960) mit 0,8-Liter-Dreizylinder-Zweitakter (24 kW/33 PS)
Saab GT 750 (1958 bis 1960) mit 0,8-Liter-Dreizylinder-Zweitakter (33 kW/45 PS)
Saab Sonett I (1958 bis 1960) mit 0,8-Liter-Dreizylinder-Zweitakter (43 kW/58 PS)
Saab 96 (1960 bis 1966) mit 0,8-Liter-Dreizylinder-Zweitakter (29-33 kW/40-46 PS)
Saab 96 (1967 bis 1980) mit 1,5-Liter-Vierzylinder (48 kW/65 PS)
Volvo PV 444 (1947-1958) mit 1,4-Liter- bzw. 1,6-Liter-Vierzylinder (29 kW/40 PS bis 63 kW/85 PS)
Volvo PV 544 (1958-1965) mit 1,6-Liter-Vierzylinder (44 kW/60 PS bis 63 kW/85 PS) bzw. mit 1,8-Liter-Vierzylinder (55 kW/75 PS bis 70 kW/95 PS)
Produktionszahlen:
Saab 92 (1946 bis 1956) insgesamt 20.152 Einheiten, Saab 93 (1955 bis 1960) insgesamt 52.731 Einheiten.
Saab 95 (1959 bis 1978) insgesamt 110.527 Einheiten, Saab 96 (1960 bis 1980) insgesamt 547.221 Einheiten.
Volvo PV 444 (1947 bis 1958) insgesamt 195.959 Einheiten.
Volvo PV 444 und PV 544 (1947 bis 1965) insgesamt 440.000 Einheiten
Sie machten das kleine Schweden zum weltweit erfolgreichen Autobauer. Der liebevoll Buckel-Volvo genannte PV 444 und die kompakte Stromlinienlimousine Saab 92 schrieben Geschichte als erste skandinavische Volksautos. Zwei globale Bestseller, die gleichzeitig starteten und doch grundverschieden waren
Quelle: Autoplenum, 2017-02-12
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