SUV statt Luxuslimousinen - Auch ganz oben geht’s nicht mehr ohne Crossover
Als Ferrari-Boss Sergio Marchionne Anfang Oktober ankündigte, ernsthaft über den Bau eines SUVs nachzudenken, ging ein Aufschrei durch die Ferraristi-Szene. Von „Verrat“, „Sündenfall“ und dem „Tod der Marke“ tönte es dem Fiat-Konzernchef aus den einschlägigen Internet-Foren entgegen. Unter dem Ex-Patron Luca di Montezemolo hätte es das nicht gegeben, zeterten die Traditionalisten, die mit dem als wenig autoaffinen geltenden Kaufmann Marchionne noch nie viel haben anfangen können.
Doch trotz des anschwellenden Widerstands: Ein SUV mit dem springenden Pferd auf dem Kühlergrill könnte eine gute Idee sein. Eine, die auch andere Luxusauto-Hersteller schon hatten – und die bislang ausgezeichnet funktioniert.
Vorreiter des SUV-Trends in der Liga der europäischen Sportwagen- und Edellimousinen-Hersteller war Porsche. In den 90ern steckten die Zuffenhausener gerade in einer Krise: Der Sportwagen 911 war zwar eine Legende, fand aber immer weniger Käufer. Neu-Chef Wendelin Wiedeking sanierte, flexibilisierte - und lancierte mit dem SUV Cayenne im Jahr 2002 eine dritte Modellreihe, die fast aus dem Stand für ein gigantisches Absatzplus sorgte. Heute verkauft Porsche längst mehr SUV als Sportwagen, auch dank des neuen Einstiegsmodells Macan liegt der SUV-Anteil am Absatz der Marke mittlerweile weltweit bei fast 70 Prozent.
Das Phänomen ist global: Während die Zulassungszahlen bei Sportwagen und Oberklasselimousinen in den letzten Jahren stagniert haben, legen die SUV immer stärker zu. Q7 statt A6, GLE statt E-Klasse und X5 statt 5er hieß die Kundenentscheidung in Premium-Segment zuletzt. BMW baut mit dem X7 bald sogar oben an. Und auch im Segment darüber, bei den richtigen Luxusmarken, können sich die Traditionsmarken dem Trend weg von der flachen Limousinen und Sportwagen hin zu bulligen SUV nicht verschließen.
„Wer im Premiummarkt heute keine SUV hat, ist verloren“, drückt es Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer, Direktor des Center Automotive Research (CAR), aus. Längst ist Porsche daher nicht mehr allein unter den Luxus-SUV-Anbietern. Die britische Konzernschwester Bentley markiert mit dem zwölfzylindrigen Bentayga seit 2016 die Spitze des Superluxus-Segments, Sportwagenschwester Lamborghini aus Italien will 2018 mit einem besonders dynamisches Modell folgen. Maserati hat seit 2016 mit dem Levante ebenso einen Allrad-Crossover im Programm wie Jaguar, die ihrem 2016 erschienenen F-Pace nun bereits den kleinen Bruder E-Pace hinterherschieben und für 2018 das Elektro-SUV I-Pace angekündigt haben. Und dann ist da noch Rolls-Royce: Selbst die traditionsbewusste Marke, bei der die neuesten Branchen-Hypes sonst allenfalls für eine hochgezogene Augenbraue sorgen, springt auf den SUV-Zug auf. 2019 soll der unter dem Projektnamen Cullinan bekannte Maxi-Offroader in Serie gehen. Der SUV-Boom hat somit seinen Lackmus-Test bestanden: Springt selbst Rolls-Royce auf, handelt es sich wohl wirklich nicht mehr um einen kurzlebigen Trend.
Das Risiko beim Einstieg in das SUV-Geschäft ist für die Luxusmarken relativ überschaubar. Wo eine Klasse tiefer Mercedes und Co. bereits bangen, ob das Geschäftsmodell SUV ohne den in der Kritik stehenden Dieselmotor noch hinhaut, können Ferrari und Co. ohne Angst auch durstigste Benziner mit schweren SUV kombinieren. „Kleinere Hersteller wie Ferrari, Rolls-Royce oder Bentley können den Verbrauch ausblenden, denn alle diese Unternehmen sind in großen Gruppen zu Hause und die werden als Gruppe beim CO2-Ausstoß veranlagt“, weiß Dudenhöffer. Insgesamt wird die Branche aber bei Luxus-SUV auf den Elektroantrieb setzen. „Ab 2018 kommen die ersten Elektro-SUV nach dem Tesla X in den Markt. Ich bin sicher, die Menschen werden sich nicht nur in China in diese Autos verlieben“, so der Experte. Das CO2-Problem beim SUV sieht es als gut lösbares Übergangsproblem. Auch weil die hohen Kosten für E-Mobilität in der Luxusklasse weniger ins Gewicht fallen als bei einem Kleinwagen.
Unkritisch ist in Dudenhöffers Augen auch die mögliche negative Reaktion von beinharten Markenfans – die sowieso nicht immer zwangsläufig deckungsgleich mit der wirklichen Kundschaft sind. „Es macht doch keinen Sinn mit Konzepten, die vor 50 Jahren erfolgreich waren auch die nächsten 50 Jahre zu bestreiten“, so der Wissenschaftler. „Das Motto ‚mein Großvater war Bäcker, mein Vater war Bäcker, also muss ich auch Bäcker sein‘, passt nicht mehr. Markenwerte im Zeitalter der Digitalisierung passen nicht zum Schlossbesitzer-Image.“ Auch Marchionne dürfte das so sehen. Und gelassen abwarten, bis sich der Wut-Sturm der Ferraristi gelegt hat. Und weil der verbale Tabubruch früh genug kam, hat er dabei keinen Zeitdruck: Das Ferrari-SUV dürfte frühestens 2021 auf den Markt kommen.
Viele Autofans hassen sie, die Kunden lieben sie: SUV. Auch die traditionsreichsten Luxus-Marken kommen künftig nicht mehr ohne ein Crossover-Modell aus.
Quelle: Autoplenum, 2017-10-16
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