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Testbericht

Stefan Grundhoff, 11. Dezember 2011
So wie in Eastnor Castle stellt man sich England vor. Seichte Hügelketten, unverfälschte Natur und ein prächtiges Schloss. Seit einem halben Jahrhundert testet Land Rover hier seine Geländewagen auf Herz und Nieren – die Lordschaft freut’s.

Eastnor Castle hört sich an wie ein Spukschloss aus der britischen Geschichte oder als wohl bekannte Lokalität in einem der unvergessenen Edgar-Wallace-Streifen. Doch nichts von alledem. Eastnor Castle hat sich in der Allradszene seit 50 Jahren einen Namen wie Donnerhall erklommen. Denn was den Jeep-Modellen in den USA der legendäre Rubicon Trail oder der österreichische Schöckl in der Nähe von Graz für die Mercedes G-Klasse ist den Land-Rover-Modellen eben Eastnor Castle in den britischen Midlands. Das gigantische Gelände mit einer Fläche von 2.500 Hektar gilt als das wohl schwierigste Offroad-Gelände in Europa. Die tiefen Schlammdurchfahrten wollen kein Ende nehmen, Auf- und Abfahrten gehören zu den steilsten überhaupt und viele der knapp 80 Kilometer langen Offroad-Routen sind kaum breiter als die Fahrzeuge, die hier getestet werden.

Hier verdienten sich seit 1961 alle Modelle von Land Rover ihre Meriten. Stets unter den kritischen Augen von James Hervey-Bathurst. Der typisch britisch gekleidete Schlossherr mit dem lichter werdenden Haar ist seit Jahren der Inhaber von Eastnor Castle, begeisterter Jäger und – was für eine Überraschung - Offroad-Fan. Natürlich fährt er selbst mehrere Land- und Range Rover, doch auf dem Gelände von Eastnor Castle sind unter der Woche gerne einmal 30 bis 40 Fahrzeuge des britischen Herstellers unterwegs. Für Land Rover ist das Areal rund eine Stunde südlich von Birmingham zum wichtigsten Testgelände geworden. Bevor ein neuer Land Rover auf die Straße kommt, muss er sich als Prototyp monatelang über die die nicht enden wollende Teststrecken kämpfen, an mannshohen Steinen vorbeikraxeln, Wasserdurchfahrten bezwingen und über Geröll krabbeln – bei Wind und Wetter.

Begonnen hatte das Abenteuer im Jahre 1961 durch einen Zufall. Der Mitarbeiter eines Zulieferers von Land Rover war von Vater Bathurst zur Jagd nach Eastnor Castle eingeladen worden. Die Natur rund um das typisch britische Schloss aus dem 19. Jahrhundert bot beste Möglichkeiten, Allradmodelle unter härtesten Bedingungen zu testen ohne nach Süd- oder Nordamerika, in den Urwald oder nach Skandinavien zu müssen. Nach dem Jagdwochenende kam der Entwickler begeistert mit den beiden Land-Rover-Ingenieuren Geoff Miller und Bill Morris um das Gelände zu präsentieren. Der Rest ist Geschichte. Die Entwickler kamen fortan immer öfter, um ihre neuen Modelle hier härtesten Tests zu unterziehen. Insbesondere bei der Entwicklung des ersten Range Rover kamen sie 1966 / 1967 regelmäßig aus dem nur eine Stunde entfernten Stammwerk Solihull in die Midlands, um Wettbewerber unter die Lupe zu nehmen. "Wir waren hier mit Ford Bronco, Toyota Land Cruiser und ein paar Jeep-Modellen, um zu sehen, was die so drauf haben", erzählt Roger Crathorne, der seit Mitte der 60er Jahre zu Mister Land Rover wurde, "so ein Areal wie hier war und ist einfach einzigartig."

Eastnor Castle, das im kommenden Jahr seinen 200. Geburtstag feiert, wurde im Laufe der Jahrzehnte zum Mekka für Land-Rover-Liebhaber. Während neue Modelle unter der Woche durch dicken Matsch und tiefen Schlamm gejagt wurden um gleich danach am gefürchteten Gearbox Hill zu bestehen, kamen die Offroad-begeisterten Entwickler am Wochenende zum Wühlen im Schlamm auf das herrschaftliche Gelände. Vor der Samstagsausfahrt gab es in dreckigen Gummistiefeln zumeist noch einen kurzen Abstecher ins große Kaminzimmer zum Vater des heutigen Schlossherrn James Hervey-Bathurst. Umgeben von polierten Ritterrüstungen und lodernden Kaminfeuern wurde über die neusten Land-Rover-Entwicklungen geplaudert und sich gleich noch für die Treibjagd am Sonntag verabredet.

Für die Land-Rover-Ingenieure ist Eastnor Castle längst zum Urmeter einer Offroad-Teststrecke geworden. Nach wie vor gibt es Wintertests in Skandinavien oder Russland, die Hitzepackung von Nevada oder den Urwald von Südamerika. Doch die meisten Tests finden im Süden von Birmingham statt. "Wenn sich ein Wagen hier durchsetzen kann, kommt er überall auf der Welt durch", erzählt Land-Rover-Urgestein Roger Crathorne. Neben dem legendären Gearbox Hill, an dem sich alle neuen Getriebevarianten und Anfahrtshilfen beweisen müssen, gibt es weitere Streckenabschnitte auf dem Areal, die den Namen von Range-Rover-Projektleiter Spen King oder der Königin von Holland tragen. Die Briten lieben es eben traditionell.

Auch heute noch haben in Eastnor Castle nicht allein die Geländewagen das Sagen. Im Schloss von James Hervey-Bathurst finden regelmäßig Veranstaltungen wie Hochzeiten und Jubiläen statt. Auch Land-Rover-Clubs und das Fahrertraining der Land Rover Experience haben hier eine zweite Heimat gefunden. Auf den gigantischen 2.500 Hektar wird regelmäßig gejagt. "Da prasseln desöfteren die Schrotkugeln aufs Autodach", grummelt Fahrinstruktor Kevin, der sich in dem unüberschaubaren Dickicht auskennt, wie in seiner Westentasche, "ist gerade erst gestern wieder passiert." Neben James Hervey-Bathurst und seiner Familie leben in Eastnor Castle 130.000 Fasane, dazu unzählige Hirsche, Füchse und Rehe. Bereits seit knapp zwei Jahren beweist sich die kommende Range-Rover-Generation in einem abgelegenen Teil des Geländes. Auch sie wird wieder ein Teil Eastnor Castle in sich tragen. Und das freut nicht nur James Hervey-Bathurst.

Quelle: Autoplenum, 2011-12-11

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