Anschaffung
Im Herbst 2012 wurde unser alter Mercedes 190 so unansehnlich, dass ein jüngerer Nachfolger angeschafft werden musste. Die Herausforderung war, zu einem günstigen Kaufpreis ein solides Auto zu finden, mit dem man auch mal beim Klienten auftauchen kann, ohne sich mitleidige Blicke einzufangen.
Bei deutschen Herstellern kann allerdings jeder sehr genau das Baujahr eingrenzen - und bei Mercedes kam hinzu, dass die für uns in Frage kommenden Baujahre entweder massive Rost- oder Elektronikprobleme haben.
Die Lösung: ein SAAB 9-5. SAAB war eine der Lieblingsmarken meiner Jugendjahre, aus verschiedenen Gründen aber nie in der engeren Wahl für einen Kauf.
Ironischerweise
hat erst die Pleite der Firma die Autos zu preiswerten Gebrauchten gemacht. So fand ich zu einem Preis, zu dem es nur sehr verhärmte und als alt erkennbare 5er oder E-Klassen gäbe, einen 2001er 9-5 SE 2.3 t Automatik mit sehr niedriger Laufleistung und einem geradezu lächerlich akribisch geführten Scheckheft.
Ausstattung
Die Ausstattung in der SE-Version (wurde kurz danach von der Ausstattungslinie "Arc" abgelöst) ist sehr umfangreich; SAAB hat in den frühen Zeiten des 9-5 Käufer durch die Preisgestaltung (recht hoher Grundpreis, dann aber moderate Aufpreise für Ausstattungspakete und einzelne Extras) ermutigt, ruhig etwas mehr zu nehmen. Die 9-5er jener Tage kamen sehr oft mit Volllederausstattung, holzverkleidetem Armaturenbrett, Tempomat und guten Soundanlagen daher; unser Exemplar glänzt noch mit einem Schiebedach. Xenonscheinwerfer wurden allerdings erst in späteren Jahren angeboten - dass das Auto kein inzwischen völlig veraltetes festeingebautes Navi hat, empfinden wir wegen der Diebstahlgefahr sogar positiv.
Später, zu Zeiten der "Dame-Edna-Chrombrille", wurde die Ausstattungspolitik deutlich kleinlicher; hier strich SAAB irgendwann sogar die Sitzheizung aus dem Serienumfang - eigentlich ein traditionelles SAAB-Feature, das sogar schon der SAAB 96 in den Siebziger Jahren hatte. Auch die in späteren Modellen oft anzutreffenden "Teilledersitze" wirken wie gewollt, aber nicht gekonnt.
Sicherheit
Die Sicherheitsausstattung ist für das Fahrzeugalter sehr gut, nach heutigen Maßstäben immer noch ok. Die passive Sicherheit für Fahrer und Passagiere ist bester schwedischer Standard mit Front-, Seiten- und Kopfairbags, federnden Kopfstützen, die Schleudertrauma verhindern bzw. vermindern und einer sehr sicher gebauten Fahrgastzelle. Das schwedische Folksam-Institut rechnet den 9-5 aufgrund seiner Unfallstatistiken zu den sichersten Autos, die es gibt - auch noch mal deutlich besser als sein Vorgänger 9000.
Die aktive Sicherheit wird durch ein gutes Fahrwerk gewährleistet; allerdings hat der Wagen kein ESP, sondern eine Traktionshilfe, die jedoch nur bis 50 km/h wirkt.
Motor & Automatikgetriebe
Der Motor läuft ruhig und kann hinsichtlich Geräuschkomfort und Laufruhe mit den meisten Sechszylindern mithalten.
Die Automatik (bei meinem Modelljahrgang noch eine Viergangautomatik) gilt als langlebig und zuverlässig und schaltet im besten Sinne unauffällig, scheint aber deutlich Leistung zu fressen.
Für Fans der Marke ist es natürlich ein bisschen schade, dass bei der Automatik die Getriebesperre entfällt, die die handgeschalteten Versionen besitzen: SAABs galten lange Zeit als äußerst diebstahlresistent, weil der Zündschlüssel nur bei eingelegtem Rückwärtsgang abgezogen werden konnte - den man bei der Flucht mit einem kurzgeschlossenen Wagen nur ungern benutzt.
Dieses Auto hat eine größere Verbrauchsbandbreite, als ich das je erlebt habe; stets auch durch die Verbrauchsanzeige im Display nachvollziehbar. Bei gleichmäßiger moderater Fahrt auf der Autobahn auch mit Winterreifen, Abblendlicht und Klimaanlage deutlich unter 8 Litern - im Stadtverkehr unter ungünstigen Umständen aber auch mal das Doppelte.
Im Ergebnis beobachten wir, dass wir Fernstrecken heute eher mit dem SAAB fahren, wo es früher auch mal die Bahn getan hätte, uns dafür aber Stadtstrecken gut überlegen.
Qualität, Haltbarkeit und Zuverlässigkeit
Lack und Technik sehen für ein zwölfjähriges Auto hervorragend aus; auch im Innenraum sind dank hoher Materialqualität und sehr guter Verarbeitung keine Verschleißspuren erkennbar. Es besteht also die Hoffnung, dass man die etwas erhöhten Spritkosten durch niedrigen Wertverlust über eine lange Nutzungsdauer kompensieren kann.
Eine abschließende Aussage über die Haltbarkeit kann man ja erst machen, wenn das Auto hinüber ist - die einschlägigen Foren und Kaufangebote legen aber nahe, dass die Autos über eine Viertelmillion km halten können. Auch der Dauertest der Auto motor und sport aus dem Jahr 2001 stellte den 9-5 als zuverlässiges Auto dar, und die DEKRA bescheinigt dem Modell eine deutlich unter dem Durchschnitt der Fahrzeug- und Kilometerklasse liegende Mängelhäufigkeit.
Die Verarbeitungsqualität scheint laut einer der Kaufberatungen im Laufe der Bauzeit des Modells eher schlechter geworden zu sein - ich empfehle Interessenten also, sich die Kaufberatungen anzuschauen und genau zu prüfen, welchen Jahrgang man ansteuern will. Nicht jede Modellpflege hat zu besseren Autos geführt; älter kann manchmal besser sein.
Das lange Leben setzt aber regelmäßige Ölwechsel voraus; bei einzelnen Exemplaren kam es schon mal zum Tod durch Ölschlamm. Tester monierten hier die Forderung nach teurem 0W40-Öl. Nach etwas Internetrecherche stieß ich auf Mobil 1, das neben der ausdrücklichen SAAB-Freigabe auch die schärfsten Daimler-Auflagen erfüllt und das man bei Internetversendern ab ca. 7 € je Liter bekommt. Außerdem ist das Füllvolumen mit ca. 4 Litern weitaus kleiner als bei anderen Motoren gleicher Leistungsklasse.
Sinnvoll ist es auch prüfen zu lassen, ob bei dem Fahrzeug der Wahl die Kurbelgehäuseentlüftung ausgetauscht wurde - die original Eingebaute kann wohl zu überhöhten Öltemperaturen führen, was ebenfalls dem Motor schaden kann.
Eine vernünftige Fahrweise sollte selbstverständlich sein: Dazu zählt ordentliches Warmfahren vor hohen Drehzahlen und dass man den Motor nicht sofort nach hochtourigem Fahren abstellen (Picknickpause nach Vollgasfahrt) und so dem glühenden Turbolader die Kühlung entziehen darf.
Welche Auswirkungen hat die Insolvenz des Unternehmens?
Damit habe ich mich abgefunden.
Tatsächlich hat SAAB Ende 2013 wieder eine Produktion des inzwischen völlig veralteten 9-3 für Schweden und China aufgenommen, mit dem die Zeit bis zum Elektroauto überbrückt werden soll.
Ich bin skeptisch, ob das funktioniert und SAAB wieder zu einer europaweit verfügbaren Marke wird. Das jüngste, was man vom aktuellen Eigentümer NEVS hört, ist, dass eine neuerliche Insolvenz knapp abgewendet werden konnte.
Da die Marke sehr engagierte Kunden hat, gibt es rege besuchte Internetforen, die Tips über gute Werkstätten und die paar Wehwehchen der Modellreihe geben - sowie sehr gute Kaufberatungen.
Nach diesen Foren scheint die Ersatzteilversorgung gut zu sein; SAAB Parts ist der Pleite entgangen. Verschleißteile kommen ja typischerweise ohnehin von Drittanbietern.
Image
Man steht schön außerhalb der deutschen Markenhierarchie und wirkt weder ärmlich, noch zieht man Neidreflexe an - letzteres ist ganz gut, wenn man als Laternenparker in einer Stadt lebt, in der immer wieder mal Autos brennen. Und wie bereits gesagt - nur die Wenigsten können einen 1998er 9-5 von einem 2008er unterscheiden, so dass auch ältere Exemplare noch zeitgemäß wirken.
SAAB-Fahrer weisen eine hohe Akademikerquote auf und gelten als Individualisten, nicht jedoch als aggressive Fahrer - insgesamt also ein angenehmes Image, von dem ich unbescheiden meine, dass es zu mir passt.
Originalität
SAAB-Puristen machen sich manchmal lustig, der 9-5 sei ein verkleideter Opel Omega - aber darauf kann man passend antworten. Ja, es gab im Fahrwerksbereich eine gemeinsame Plattform, aber der 9-5 hat eine aufwendigere Achskonstruktion als die größenmäßig vergleichbaren Öpel, und hinsichtlich Karosserie und Motor ging SAAB ohnehin eigene Wege.
Nach den hohen Standards echter Puristen war ja schon der Vorgänger SAAB 9000 ein schwedisch-italienischer Bastard, der nicht mal das Zündschloss an der richtigen Stelle (zwischen den Vordersitzen, fern der Kniescheibe) trug - und auch den seligen SAAB 96 (bis 1980 gebaut) kann man nur dann als "echten SAAB" akzeptieren, wenn man ihm die fremdentwickelten Motoren (erst DKW, später Ford) durchgehen lässt.
Wenn man es so eng sieht, waren nur der 99 und der klassische 900 echte SAABs - woraus dann folgen würde, dass die Marke nur etwa 25 Jahre existiert hätte. Nach dem Argument ist meistens Ruhe.
Meist enden die Diskussionen mit einem freundlichen "Leben und Lebenlassen".