Erfahrungsbericht Nissan GT-R Mk1 (485 PS) von Anonymous, Mai 2010
Wie sieht ein perfekter Tag aus? Ein deftiges Frühstück aus gebratenem Speck und ordentlich Rührei, dazu ein starker Kaffee. Danach stehen sie von der Terrasse auf und gehen drei Schritte zu ihrem vor der Garage geparkten Nissan GT-R, der nur darauf wartet, durch die bergigen Kurvenstraßen vor der Ortsgrenze gepeitscht zu werden.
Zwar konnten wir das Vorangegangene nicht völlig reproduzieren, unser Tag im GT-R wurde dennoch ein voller Erfolg. Aber immer der Reihe nach: den Anfang machte ein ausgiebiges Mittagessen in Deutschlands angesagtestem Hotel, das dem Perfekten bereits sehr nahe kam. Nach dieser Stärkung ging’s ans Fahren. Doch statt eines feuerspuckenden Testosteron-Rennwagens hatte man für uns einen violett-farbenen Nissan Cube vorgesehen. Mit stufenloser Automatik. Oha.
“Viel Lärm um nichts“ – das kann man so stehen lassen und hat damit niemandem Unrecht getan. Wobei „nichts“ eigentlich falsch ist, denn der Cube diente als idealer Spähpanzer um schnelle Ecken, Starenkästen, lange Geraden und sonstige Wegelagerer für den späteren GT-R-Einsatz auszumachen.
Das Ausspähen hat funktioniert, hätten wir auf die Vorfahrt mit dem brustschwachen Kastenwagen verzichtet, so wären wir wohl wie unsere journalistischen Kollegen im Uferverkehr des Rheins steckengeblieben und hätten die Klasse des GT-R nur auf den beiden kurzen (und geschwindigkeitslimitierten) Stücken des Autobahnzubringers im Ansatz erkennen können. Zum Glück kam es also anders.
Der erste Eindruck, nachdem man sich im Schalensitz festgeschnallt hat, und den Schock der schieren Größe verdaut hat, ist sehr positiv. Alles ist hochwertig verarbeitet und das Instrumentarium hinter dem Lenkrad gibt sich erfreulich konservativ. Von Arcade-Game keine Spur. Also Wählhebel des Transaxle-Doppelkupplungsgetriebes auf D und los. Motor und Reifen waren dank der, sagen wir mal, aufopfernden Fahrweise unserer Vorgänger, noch auf angemessener Temperatur, es musste also keine Zeit mit sanftem Aufwärmen verschwendet werden.
Noch auf den ersten Metern haben wir per Tastendruck der Momentenverteilung des Allradantriebes und der Dämpferkennlinie des Fahrwerks den „R-Modus“ befohlen, die Traktionswächter haben wir allerdings in Hab-Acht-Stellung belassen, schließlich wollten wir uns nicht durch einen Einwurf des 1,8-Tonnen-Boliden zum Buhmann der Veranstaltung erklären lassen.
Hat man sich erstmal in den fließenden Verkehr eingefädelt, bleibt etwas Zeit zum Umschauen. Die braucht man auch, will man den GT-R unfallfrei einparken, denn zur oben genannten Größe addiert sich eine erstaunliche Unübersichtlichkeit. Die aerodynamischen Spiegel zeigen zum Beispiel entweder die mächtigen Kotflügel oder den Himmel, selten aber den im toten Winkel fahrenden Hintermann.
Diesem „Problem“ kann man aber durch einen kleinen Trick entgehen: vor dem Spurwechsel einfach kurz das Gas antippen. Erstaunlich, aber funktioniert jedesmal.
Die Wirkung ist vor allem dem Treibsatz unter der weißen Haube des großen Nissans zuzuschreiben. Zwei IHI-Turbolader versorgen die sechs Brennräume mit ordentlich Druck, das DK-Getriebe drückt ohne Verzögerung den passenden Gang in den Kraftfluss und der Allradantrieb verteilt das Ganze schlupffrei auf der Straße.
Was in der Theorie so einfach klingt, erlebt sich im echten Straßenverkehr dann aber doch sehr interessant: im ersten und zweiten Gang drückt der GT-R bei Vollgas so hemmungslos nach vorne, dass nicht nur Führerschein, sondern auch die anderen Verkehrsteilnehmer bös gefährdet werden. Derartige Beschleunigung traut man einem straßenzugelassenen Auto schlicht nicht zu, die Reaktionszeit aller Beteiligten tut ihr Übriges
Doch die Bonner Stadtautobahn war einfach zu voll, um das Potenzial des Nissans aufzuzeigen. Also abgefahren und rauf auf den Berg. Enge Serpentinen, steil bergauf und ein paar längere Geraden im tiefen Wald. Herrlich. Vollgas, Zweiter, Dritter, 150 km/h, hart anbremsen, einlenken, viel zu früh voll aufs Gas, Dritter, 145 km/h, hart anbremsen und so weiter.
Man glaubt nicht, wie lange man die Luft anhalten kann. Es passiert ganz automatisch. Man ist hochkonzentriert, sucht den Wald nach entgegenkommenden Fahrzeugen ab, fixiert Brems- und Einlenkpunkte, horcht angestrengt ins Auto hinein, ob und wie viel noch geht, und versucht währenddessen den eigenen Körper gegen die einwirkenden Beschleunigungskräfte zu stemmen.
Es ist vergebens. Der Nissan lässt Dir keine Zeit zum Luftholen, weil er sich selbst keine Verschnaufpause gönnt. Er macht keinen Fehler, zeigt keine Ermüdung und ist nicht an die Grenze zu bringen. Man fährt den Strich seines Lebens, koordiniert Lenkung, Gas und Bremse so wie beim ersten Mal und die weiße Lady zeigt sich dennoch völlig unbeeindruckt.
Kein Quietschen der Reifen, kein Nachlassen der Bremse, kein Verschlucken des Motors – der Nissan gibt sich keine Blöße. Selbst als wir am Gipfel angekommen nach kurzer Zeit des Sammelns wieder in Richtung Tal aufbrechen und trotz eindringlich ausgeschilderter Warnung „Achtung, gefährliche Kurven“ noch ein paar Zehner auf die Geschwindigkeitsanzeige addieren, lässt sich der GT-R zu keinem Fehltritt hinreißen.
Unten angekommen geht es wieder in Richtung Autobahn. Die Auffahrt geht bereits mit Richtgeschwindigkeit und der Audi TT-Fahrer muss sich trotz vollem Leistungseinsatz gedemütigt gefühlt haben. Obwohl wir noch nicht einmal in den zweiten zurückgeschaltet haben …
Die Autobahn gibt uns kurz Zeit durch die Playstation-Menüs des GT-R zu zappen. 0.8g, 0.72g, 0.83g Querbeschleunigung und bis zu 0.7g in Längsrichtung weist der Computer aus – Zahlen deren Bedeutung man aber erst einschätzen kann, wenn man sie „erfahren“ hat. Während wir uns im Menü aufhalten und der Tempomat ruhig die Geschwindigkeit hält, fällt auch auf, dass der große Nissan ein erstaunlich guter Reisewagen sein kann. Ordentlich abgestimmt und mit ruhiger Stimme ist er auch für lange Etappen gut.
Die ruhige Stimme passt sich auch homogen ins Gesamtbild des GT-R ein. Ihm ist die besessene Drehfreude eines Ferrari F430 fremd, der heisere Schrei eines Porsche 911 GT3 RS und der Wahnsinn eines Lamborghini Gallardo. Trotzdem steckt der Nissan seine Konkurrenz auf der Rennstrecke in die Tasche. Kein zappeliges Anbremsen, kein Krakeelen und kein Driften beim Herausbeschleunigen, sondern einfach das Fahren auf der Ideallinie. Warum? Weil seine cleveren Steuergeräte keinen Raum für Emotionen lassen. Der GT-R funktioniert. Perfekt. Der Nissan GT-R ist vielleicht das japanischste Auto der Japaner.
Genau deshalb ist der weiße Nissan vor allem kein Auto für Männer. Männer wollen kämpfen, Männer wollen schwitzen, Männer wollen das Auto beherrschen und Männer wollen stolz auf ihre Leistung sein. Im GT-R passiert nichts davon. Man muss nicht kämpfen, nicht schwitzen und weiß zu jeder Sekunde, dass das Auto gerade 284 Operationen ausführt, von denen jede Einzelne besser durchdacht ist als jene, die man selbst mit seinen zwei Armen und Beinen hätte befehlen können.
Den GT-R kann man als Normalsterblicher nicht am Limit fahren. Er fährt dich ans Limit, an jedem Tag, mit jedem Vollgasstoß, bei jedem Bremspunkt. Manche sprechen davon, dass der GT-R aus diesem Grund ein synthetisches Auto sei, eines bei dem man nichts fühlt. Das ist jedoch völliger Quatsch - der Nissan lässt dich immer fühlen, dass er es besser kann.
Man sollte ihn nicht als schlechtes Auto darstellen, nur weil er die männliche Heroik in Frage stellt, sondern ihn eher als Trainingspartner ansehen. Ein Auto, beim dem der Spaß nicht aus dem „auf-der-Straße-bleiben“ besteht, sondern eines, bei dem er aus dem Lerneffekt kommt. Schnell ist er in jedem Fall, wenn man ihn richtig zu nutzen weiß wird er jedoch erst richtig schnell. Und das setzt Emotionen frei. Versprochen. Man darf sich nur nicht vom eigenen Ego blenden lassen.