Erfahrungsbericht Lada Granta 1.6 (98 PS) von Anonymous, November 2021
Eigentlich war mein Granta das Ergebnis einer Verlegenheit. Infolge einer Erkrankung war es mir vor fast fünf Jahren für eine gewisse Zeit nicht mehr möglich, ohne fremde Hilfe aus meinem damaligen Hyundai Veloster auszusteigen. Den hatte ich zwei Jahre zuvor gekauft, weil er mir gefiel und ich mal etwas Sportlicheres haben wollte. Die anfängliche Begeisterung wich aber schnell. Schick bedeutet nicht zwingend auch praktikabel. Brettharte Federung, dazu Niederquerschnittsreifen verlangten nach gebügelten Straßen, die es hierzulande zu 90% nicht gibt. Das konnte auch die fänomenale Straßenlage, das Doppelkupplungsgetriebe, Ledersitze, Lenkradschaltung, Panoramadach und die eingebaute Disco nicht kompensieren. Kurz und gut: ich suchte nach einer Alternative und fand sie im Granta. Der hatte nicht nur das, was ich wollte (ATM-Getriebe, 1,6l-Motor), sondern auch etwas, was der Veloster erst hatte haben sollen. Eine Autogasanlage. Auch tanken sollte (wieder) Spaß machen.
Mit dem Granta schüssel ich jetzt im fünften Jahr fröhlich und zufrieden durch die Gegend. Fahre nicht besonders viel, aber auch nicht wirklich wenig. Aktuell stehen 125.000 auf der Uhr. Der LPG-Verbrauch bewegt sich im Sommer zwischen 8-9, im Winter zwischen 9 und 10l. Liegt hauptsächlich an der saisonalen Abstimmung des Propan/Butan-Gemischs, das im Winter noch weniger Energiedichte aufweist als ohnehin schon im Vergleich zu Benzin. Noch kann man sparen, aber das wird sich in den nächsten Jahren wegen der jüngst beschlossenen schrittweisen Reduzierung der Steuerbefreiung auf LPG wohl reduzieren. Was mich sehr daran zweifeln lässt, ob das Nachfolgemodell wieder einen LPG-befeuerten Motor haben wird. Abwarten.
Die Karrosserieform ist ein Fließheckmodell, das im Russischen "Liftback" heißt. Auf deutschen Straßen eine nicht besonders häufig vorkommende Variante. Der neue Renault Arkana besitzt sie (die Ähnlichkeit mit dem Granta in der Silhouette ist verblüffend). Der Skoda Oktavia auch. Ansonsten fahren viele Kompakte herum oder Kombis. Was ich irgendwie nicht nachvollziehen kann, denn ein Fließheck vereint die Schönheit eines Coupés mit der Praktikabilität eines Kofferraums. Der ein Fassungsvermögen hat, das Autos aus der Kompaktklasse erst nach Umlegung der Rücksitzbank erzielen.
Der Salon ist mit einem Wort schlicht, aber nicht unansehnlich. Die Seitenhaltkraft der Lehnen sorgt für ein beständiges Training der Rückenmuskulatur, das aber nicht übermäßig schlaucht. In engen Kurven kippt der Granta ordentlich weg, sodass die Passagiere sich vorn eigentlich nur gerade halten müssen. Die Bremskraft könnte etwas stärker unterstützt werden, aber Robustheit hat halt ihre Auswirkungen. Die Automatik schaltet ordentlich, ist aber gut spürbar. Der Motor ist etwas rau, wer sich von den russischen Boschkerzen zugunsten anderer Fabrikate trennt (die Auswahl ist sehr überschaubar), kann ihm aber ein kulturvolleres Auftreten verleihen. Die Scheinwerfer leuchten die Fahrbahn sehr gut aus. Mit "Blaulicht"-Lampen noch etwas besser. Der Rundumblick ist dank niedriger Fensterleisten hervorragend. Wer gerne gesehen werden will, hat daher auch seine Freude, denn Verstecken ist im Granta eigentlich nur im Kofferabteil möglich. Ich besitze zudem die Luxus-Variante, heißt, dass in den Seitenspiegeln integrierte LEDs ebenso vorhanden sind, wie die Beheizbarkeit der Spiegel, automatisches Abblendlicht, ZV, Alarmanlage und Regensensor. Eigentlich ist auch eine beheizbare Windschutzscheibe Bestandteil des Pakets. Der Wagen war zuvor jedoch beim Lada-Importeur als Firmenfahrzeug im Einsatz. Man kann vermuten, dass die Russen den Granta als "Fehlfarbe" abgegeben haben. Die Federung ist für mein Empfinden zu straff für das Leichtgewicht ausgelegt. Auf welliger Fahrbahn wird ein zur Gelassenheit erziehendes Verhalten wie an Bord eines Schiffes erzeugt, Bodenunebenheiten anderer Art mit Krawumm begegnet. Kopfsteinpflaster erzeugt hässliches Drohnen und Scheppern. Habe durch Absenken des werkstattseitig zur Erzielung von Idealverbrauchswerten erhöhten Reifendrucks für eine Verbesserung sorgen können, muss dafür aber eine Verschlechterung des Kurvenverhaltens in Kauf nehmen. Zudem fahre ich auf Ganzjahresreifen. Die wurden zwar mit der Zeit besser (sind inzwischen zu beinahe echten Winterreifen mit etwas härterer Gummimischung mutiert), sind aber gripmäßig nicht der Hit.
Mit dem Gewicht von rund einer Tonne (Fahrer eingerechnet) haben die 98 PS keine Probleme. Der Motor ist zwar kein Beschleunigungswunder, aber auch ganz sicher keine lahme Ente. Bis etwa 90 km/h braucht das Radio nicht lauter gedreht zu werden. Danach nehmen die Windgeräusche konstant zu. Übertönen sogar die Motorgeräusche. Trotzdem fallen einem auch nach mehrstündiger Autobahnfahrt mit 140 - 150 km/h anschließend nicht die Ohren ab. Die Lenkung ist sehr direkt und verlangt ständige Korrekturen, woran man sich aber schnell gewöhnt. Nicht gewöhnen kann ich mich an die zu kurze Beinauflage der Sitze. Das zur Untätigkeit verdammte linke Bein will regelmäßig gestreckt werden und taucht dann in die Tiefen der Pedalerie ein. Diese Möglichkeit hat das rechte Bein nicht. Es kann nur zwischen leicht schräger und gerade Position gewechselt werden. Bei Schrägstellung dockt das Knie an die Seitenkante der Mittelkonsole, was auf die Dauer auch unangenehm wird. Hier zeigt der Granta ganz eindeutig, dass seine Vorfahren aus dem Kleinwagensegment stammen. Und nach unterdurchschnittlich gewachsenen Personen bis etwa 1,70 verlangen. Für größere wie mich ist der Granta das ideale Stadt- und Land-, jedoch kein Langstreckenfahrzeug. Gewöhnungsbedürftig ist auch das nur bei Starkregen nicht mehr wahrnehmbare Betriebsgeräusch des Scheibenwischermotors. Warum der Motor nicht gedämmt wurde, entzieht sich meiner Vorstellungskraft.
Aber, und auch deswegen hänge ich an ihm (eigentlich müsste ich "ihr" zu ihm sagen. Namen mit "a" am Ende sind im slawischen Sprachraum stets femininen Genus), er ist nicht nur zuverlässig, sondern auch tapfer. Trotz Ausfalls eines Zylinders (defekte Zündspule, wie sich erst später herausstellte) brachte er mich immer dorthin, wo ich hinwollte. Kurz vor 100.000 km brauchte er ein neues Getriebe. Laute Rasselgeräusche deuteten auf einen Defekt hin. Von einer Reparatur wurde auch wegen fehlenden Ersatzteilkits abgeraten. Der Austausch kostete alles in allem rd. 1900 Euros. Eine Reparatur wäre auch nicht günstiger gewesen. Außerdem hatte ich den Wagen schneller wieder. Insgeheim bin ich mir zudem nicht sicher, ob ich den Getriebeschaden nicht durch fehlerhafte Bedienung selbst herbeigeführt habe.
Das aufgrund verschärfter Umweltschutzvorschriften erforderliche Spülventil, notwendig, um im Tanksystem entstehende Benzindämpfe bis zur Befüllung eines Speichers zurückzuhalten und erst nach Rücksprache mit dem Steuergerät zur Verbrennung freizugeben, gab kürzlich seine Funktionalität auf. Der Austausch war kostengünstig und simpel und konnte im do-it-yourself-Verfahren durchgeführt werden. Problematisch war nur, den Fehler zu verorten. Zwar löste der Ausfall die MKL und insgesamt zwei Fehlerziffern aus, aber die Beschreibungen waren derart global, dass tatsächlich alles im Bereich der Spritversorgung als Ursache in Betracht gezogen werden konnte. Vom Tankdeckel bis zur Undichtigkeit im Ansaugtrakt. Mit Bordmitteln schwer zu ermitteln und auch der Austausch des Spülventils geschah nur auf Verdacht, entpuppte sich aber als Lösung des Problems.
Nicht verschweigen will ich latenten Kühlmittelschwund. In der Regel ein Hinweis auf eine durchgebrannte Zylinderkopfdichtung. Das Öl enthält aber keine Anzeichen von Emulsionen, wie sie infolge einer Einbringung von Wasser in Öl zwangsläufig entstehen. Es verschwindet also an anderer Stelle. In Kürze steht der turnusgemäße Tausch von WaPu und Riemen an. Gute Gelegenheit, der Sache auf den Grund zu gehen.
Einen echten Schwachpunkt stellt die handwerkliche Qualität der ohnehin schon raren Werkstätten dar. Hier muss man wirklich mit allem rechnen. Von ungenügend angezogener Ölablassschraube bis hin zu falsch wieder eingebautem Scheinwerfer. Inspektionsumfänge werden nicht eingehalten, was dazu führte, dass ich in diesem Jahr zum ersten Mal überhaupt durch die HU fiel und das gleich zweimal. Beim ersten Mal war die Geschichte für mich kostenlos, da der Prüfstelle keine Daten zum Granta bekannt waren, die AU also nicht durchgeführt werden konnte. Wäre sie durchführbar gewesen, hätte ich aber die Handbremse nachstellen und die hinteren Stoßdämpfer ersetzen lassen müssen. Doch auch damit kam ich nicht weiter, da die hinteren Bremsbacken kurz vor Eisen waren und die Scheinwerferhöhenverstellung rechts defekt war. Das hätte im Rahmen der Inspektion auffallen oder, im Falle des Scheinwerfers, bekannt werden müssen. Dass mir die gleiche Werkstatt im Rahmen der kürzlich durchgeführten Inspektion 10W-40 statt zumindest 5W-30 eingefüllt hat, deutet auf eine gehörige Portion Egalität hin. Oder Gedankenlosigkeit. Klar, es gibt auch andere Werkstätten. Doch der Granta ist zu selten, als dass sich viele mit ihm auskennen. Und ich habe keine Lust, mir erzâhlen zu lassen, wie gut dies oder jenes bei VW und Konsorten gelöst sei. Die auch alle nicht perfekt sind. Dafür teurer.
Fakt ist, man kann sicher erheblich bequemer, fürstlicher, angenehmer, aber kaum preiswerter automobil von A nach B kommen. Und solange Rost kein Thema ist, und das ist es nicht, kann ich mit den nicht vorhandenen heutigen Selbstverständlichkeiten an irgendwelchen Assistenzsystemen im Granta gut leben. Da meine wilden Jahre auch Vergangenheit sind, kommt der Granta mit seiner eigentlich für russische Straßenverhältnisse höher gelegten Bodenfreiheit schon als Hochein- und aussteiger durch und verdient die Bezeichnung "Crossover". Und damit passt er gut zu seinem Herrn, der sich auch nicht gerne in Schubladen stecken lässt. Schon garnicht aufgrund des von ihm benutzten Vehikels :)