Mittelklasse auf amerikanisch – das heißt knapp fünf Meter lang und umfangreich ausgestattet. 2007 wollte Chrysler mit den Schwestermodellen Chrysler Sebring und Dodge Avenger in Europa Fuß fassen. Zu hohe Kosten für Werbung, dumme Klischees und die höhere Nachfrage nach Kombis – Stufenheck ist in Deutschland eher verpönt – sorgten dafür, dass beide Limousinen im Modelljahr 2009 aus dem deutschen Programm flogen. Nun aber zum Dodge Avenger (Avenger = Rächer). So begab ich mich zum Dodge-Händler, um mir den von der Fachpresse niedergemachten Avenger zu holen. Ein Jahreswagen in Inferno Red Metallic grinste mir entgegen, 28.175 Kilometer gelaufen.
Design: Dodge orientiert sich an der Musclecar-Tradition und leiht sich jede Menge Stilelemente vom in den USA seit den Sechzigern erfolgreichen Dodge Charger. Dies holt den Avenger umgehend aus der gefürchteten Biedermannecke. Aggressiver Blick, Fadenkreuzgrill, ein frecher Hüftschwung und ein kurzes Stufenheck – der Avenger hebt sich deutlich von den europäischen und asiatischen Modellen ab. Ein Hingucker ohne Frage. Während der 80 Kilometer langen Probefahrt zählte ich zwölfmal Umdrehen, siebenmal auf’s Auto zeigen und fünfmal Fotografieren mit Handy's. Keine schlechte Bilanz für dreieinhalb Stunden. Typisch amerikanisch: fast 1,7 Tonnen bringt der US-Brummer auf die Waage.
Ausstattung und Platzverhältnisse: Nur eine Ausstattungslinie wurde während des einzigen Verkaufsjahres in Deutschland angeboten. SE = Standard Edition, in den USA kaum mehr als das nackte Auto, für Deutschland aber mit ordentlicher Ausstattung. Der für Sommer 2008 angekündigte SXT wurde in Deutschland überhaupt nicht mehr angeboten, man bekommt ihn jedoch nach wie vor über EU-Händler. Die Tür geht auf und man betritt eine Hartplastikwelt im Hellgrau- / Dunkelgrau-Mix. Besonders hier empörte sich einst die Fachpresse. Doch hat man sich erst auf den bequemen Sitzen niedergelassen, ist das garnicht so schlimm. Armaturenbrett und Mittelkonsole sind übersichtlich gestaltet und ordentlich verarbeitet. Nichts klappert oder wackelt. Gleiches trifft auf die Türverkleidungen zu. Das Hartplastik hat auch eine praktische Seite: Verschmutzungen lassen sich mit dem Staublappen wegwischen. Und weil Rache ein Gericht ist, das laut den Klingonen am besten kalt serviert wird, befindet isch über dem Handschuhfach ein Getränkekühlfach für vier 0,5-Liter-Flaschen. ABS, ESP, ASR und Klimaanlage sind serienmäßig an Bord. Die Polster sind so bequem, dass sie locker für lange Strecken taugen. Dabei ist der Seitenhalt des Gestühls optisch wie auch tatsächlich eher dezent. Das wirklich Schöne: Hinten haben auch große Leute ordentlich Platz für ihre Beine – auch dann, wenn die Vordersitze weit nach hinten verschoben werden. Ansonsten sind alle Bedienelemente ergonomisch gut erreichbar. Für Sicherheit sorgen acht Airbags. Im Kofferraum ist ebenfalls genug Platz und klappt man die Rücksitze schleppt man auch sperriges Zeug weg.
Fahrgefühl: Bei dem Design vermutet man den 3.5 Liter großen V6 mit 235 PS unter der Haube, doch den gibt’s nur im R/T-Modell in den USA. Beim Drehen des Zündschlüssels kommt das Aha-Erlebnis. Unter dumpfem Grollen erwacht ein zwei Liter großer Turbodiesel mit 140 PS zum Leben. Der Pümpe-Düse-Motor stammt von VW und wurde im Dodge von der Fachpresse als zu laut bezeichnet. Nun, zu überhören ist er nicht, aber er klingt kernig und wird nicht aufdringlich. Ganz unamerikanisch: Die Kraftübertragung erfolgt über ein Sechsgang-Schaltgetriebe, das aber herrlich knackig ist. Die Bezeichnung CRD will einen Common-Rail-Diesel vorgaukeln, steht aber für Chrysler Road Diesel. Nun aber Gas. Es folgt eine Turbogedenkpause bis Isaac bei 1.750 U/min mit einem dezenten Knurren seine 310 Newtonmeter auf die Vorderachse wuchtet. Der VW-Diesel schiebt den Avenger bullig von der Stelle. Laut Werksangabe knackt er die 100-km/h-Marke nach 11,8 Sekunden, aber er gut eingefahren war, dürfte eher eine Sekunde weniger drin sein. Ab auf die B107 nach Wurzen. 90 km/h im sechsten Gang. Kein Verkehr, Sonne, blauer Himmel. Der Diesel brummelt dezent vor sich hin, im CD-Player läuft AC/DC’s Rock ‚n‘ Roll Train. Gutmütig und leichtfüßig nimmt der Avenger die vielen Kurven. Von den 1,7 Tonnen ist nicht viel zu spüren. Keine schwankende Hollywoodschaukel, hier hat Chrysler durchaus die Hausaufgaben gemacht. Zeit der Federung was zum Beißen zu geben. Die Straße von Frauwalde nach Ochsensaal sieht aus, als hätte man sie aus dem sibirischen Winter nach Deutschland verlegt. Oha, hier hoppelt‘s. Das sonst komfortable Fahrwerk hüpft bockig über die Stellen wo die Winterschäden mehr schlecht als recht ausgebessert wurden. Gut, okay, für ein US-Auto ist diese Straße ohnehin gänzlich unfair. Zurück nach Wurzen über Brandis und ab auf die A14 zurück nach Grimma. Knurrend jagt der Avenger über den Beschleunigungstreifen. Ein schneller Zwischenspurt ist überhaupt kein Problem. Bei 130 km/h mit 2.800 U/min setzte ich den Tempomat und mache es mir gemütlich. Mal abgesehen von leisen Abrollgeräuschen hört man nur noch das Radio. Ja, so lässt sich’s reisen … Achja, beim Einparken und Rangieren aufpassen, die flache Heckscheibe und die dicken Säulen rauben jede Menge Übersicht, aber das ist ja auch Gewohnheitssache.
Modelle: Nachdem er in Deutschland aus dem Programm geflogen ist, bekommt man den Avenger bei EU-Händlern und US-Importeuren in drei Versionen und mit vier Motoren.
- 2.0 R4 mit 156 PS und Fünfgang-Schaltgetriebe im SE und SXT
- 2.4 R4 mit 170 PS mit Viergang-Automatik im SE, SXT und R/T
- 3.5 V6 mit 235 PS und Sechsgang-Automatik im R/T
- 2.0 CRD mit 140 PS und Sechsgang-Schaltgetriebe im SE und SXT
Der 2.7 V6 mit 189 PS entfiel sowohl in den USA aus auch in Europa.
Kosten: 6,2 Liter pro 100 Kilometer soll der Turbodiesel nach Werksangabe verbrauchen. Die Realität liegt je nach Fahrweise wohl eher bei 6,5 bis 7,5 . Macht aber nichts, der 63-Liter-Tank erlaubt hohe Reichweiten mit wenigen Tankstopps. Die Austattungslinie SE kostete in Deutschland 22.290 Euro (2.0 Benziner) und 24.290 Euro (2.0 CRD). Aufpreispflichtig waren nur die Metallic-Lackierung für 580 Euro und ein MP3-Fähiges CD-Radio für 540 Euro. Letzteres wurde aber je nach Händler kostenlos verbaut. Der Avenger hat einen hohen Wertverlust. Jahreswagen mit über 25.000 Kilometer werden mit 12.500 bis 14.500 Euro gehandelt. Beim EU-Händler gibt es den SE als Neuwagen unabhängig vom Motor ab 13.500 Euro. Der SXT liegt beim EU-Händler zwischen 14.500 und 18.500 Euro. Den R/T mit dem dicken V6 gibt es über US- und Kanadaimport ab 24.000 Euro, wobei je nach Importeur auch 36.000 Euro drin sein können – hier ist Suchen gefragt, allerdings ist dieses Modell sehr wertbeständig. Allgemein gilt: Den EU-Avenger sollte man nur kaufen, wenn man ihn mindestens acht Jahre behalten will, dann schmerzt der Wertverlust weniger. Ansonsten ist er als Jahreswagen ein echter Geheimtipp.
Fazit: Eine solide und komfortable Mittelklasse-Limousine mit Hinguck-Garantie zu Dumpingpreisen mit einem sparsamen Dieselmotor, was mal wieder beweist: Ein gutes Auto muss nicht teuer sein.