Nachdem mir der aktuelle 6er BMW auf der IAA sehr gefallen hat, habe ich zufällig beim hiesigen VW Händler eines der seltenen gebrauchten 645er Coupe aus dem Jahre 2005 stehen sehen, welches natürlich deutlichbezahlbarer ist als der Neuwagen und zudem mit sofortiger Verfügbarkeit punktet.
Über das Design kann man sich streiten,meiner Meinung nach ist der 6er das einzig schöne Auto der Bangele-Ära – nicht perfekt, aber er hat was.
Der Kilometerstand ist mit 118tkm schon recht ordentlich, der geforderte Preis wurde von 26k auf 23k gesenkt. Der silberne Lack ist mit einer Dreckschicht versehen, die Bremsscheiben angerostet, offenbar wurde das Coupe schon viel zu lange nicht mehr bewegt. Das Leder ist ok, die Sitze sind nicht allzu durchgesessen, es gibt keine größeren Kratzer oder gar Risse, nur eine häßliche und nur schwer zu reparierende Beule verunziert den rechten Kotflügel.
Eine Probefahrt bekam ich verblüffenderweise sofort und ohne Umschweife angeboten. Das Wetter war schön, also griff ich spontan zu. Schon im Stand brabbelt der V8 munter vor sich hin. Ich möge das Auto möglichst nicht wieder ausschalten, die Batterie wäre platt, aber für 100km würde der Sprit noch reichen, nachtanken sollte ich ausdrücklich nicht.
Innen erwartet dem volllederverwöhnten Porschefahrer ein Leder-Dakota Ambiente mit der Extraportion Plastik, die auch einem Dacia Logan gut stehen würde.
Immerhin, die Sitze sind elektrisch verstellbar und sogar mit Memory. Platz gibt es in Hülle und Fülle. Sogar auf der Rückbank kann man hinter mir noch bequem sitzen, das ist nicht in jedem Coupe selbstverständlich. Die Sitzposition ist ungewohnt hoch - klar kann man den Sitz auch runter stellen, aber dann ist die Sicht wegen der hohen Gürtellinie doch sehr eingeschränkt.
Ich lege den Gang ein und rolle langsam vom Hof, verfolgt von den
Blicken des VW Händlers, der offenbar froh ist, daß er mir das Auto
nicht erklären muß. Die Lenkung ist angenehm leichtgängig, fühlt sich aber irgendwie synthetisch an. Der Lenkradkranz ist leider schon recht abgegriffen. An die runde Karosserie muß ich mich erst ein wenig gewöhnen, das PDC scheint nicht zu funktionieren und die Enden des Autos kann ich nur erahnen.
100km Reichweite? Von wegen, die Anzeige sackt rapide in den Keller, trotz verhaltener Fahrweise. Der Motor ist sehr leise, auch
Außengeräusche dringen kaum ein. Die Automatik schaltet sehr flink, bei etwas höheren Drehzahlen erhebt der V8 kernig seine Stimme und beschleunigt vehement, ohne allzu viel Aufhebens darum zu machen. Die Klimaanlage arbeitet leise und effizient, ganz ohne Lüftungklappenbewegungsgeräusche. Es quietscht nichts, es wackelt nichts, der Wagen rollt sauber und komfortabel ab.
Da die Batterie noch leerer war als der Tank und der Wagen nur mit
Starthilfe ansprang, rolle ich die ersten Kilometer in sehr verhaltenem Tempo über Lehrter Landstraßen. Zuhause angekommen gabel ich meine erstaunte Anna auf. Ihr gefällt das Coupe und das große Panorama Glasdach, aber nicht die spartanische Innenausstattung mit dem abblätternden Softlack. Überhaupt ist dieser 6er zumindest auf dem ersten Blick das Gegenteil von einem Ausstattungswunder: Grundausstattung mit Navi, CD-Wechsler, Panoramadach und Automatikgetriebe. Ob Dynamic Drive verbaut ist, weiß ich nicht, es gibt kein Wartungsheft und leider auch keine Ausstattungliste. PDC ist wie gesagt verbaut, aber defekt.
Schade find ich es, daß der 6er statt der genialen Displays vom E65 nur die kargen Instrumente vom E60 geerbt hat. Es gibt ein Ölthermometer, aber leider keine Anzeige des Momentanverbrauchs. Den Automatikwählhebel kenne ich aus meinem E39, die Plastikverkleidungen der Mittelkonsole wirken schäbig, nicht einmal der Mitteltunnel ist beledert. Dafür hat der iDrive Controller Force Feedback.
Auf der Autobahn möchte ich es trotz leerem Tank einmal wissen: auf der A7 Richtung Hildesheim trete ich das Gaspedal bis aufs Bodenblech durch. Der Motor dreht begeistert hoch und beschleunigt das Coupe in nullkommanichts auf über 200 Sachen. Das Fahrwerk ist absolute spitze, selbst bei hohem Tempo hat man das Auto sehr gut im Griff, die Wankbewegungen halten sich in engen Grenzen. Ich vermute mal, daß zumindest DD doch eingebaut sein dürfte. So macht das Fahren richtig Freude, das große Coupe animiert zum Rasen, weil das Gasgeben einfach tierisch Spaß macht.
Natürlich wird die Aktion sofort durch eine deutlich eingeschränkte
Reichweite bestraft, so daß wir die restliche Stecke bis zur nächesten Ausfahrt mit 90 km/h hinter einem Lastwagen herschleichen. Zeit, sich mit dem immer noch unsäglichen iDrive zu beschäftigen. Es gibt eine Sprachsteuerung, das Kommando “Navigation” versteht sie auch ganz gut. Das Wort “Tankstelle” interpretiert sie hingegen als “Radiosender anspielen”. Lästig finde ich auch, daß jedes Kommando lautstark und langsam wiederholt wird: ein kurzes militärisches “Sir, ja, Sir!” würde vollkommen genügen und wäre auch deutlich cooler.
Bei Hildesheim stelle ich den Motor aller Warnungen zum Trotz aus und tanke ein paar Liter nach. Ich hab einfach nicht die Nerven, mit einer 13km Reichweitenanzeige 30km weit nach Hause zu fahren. Nach dem Tanken der Schock: der Schlüssel will nicht ins Schloss. Und überhaupt fühlt der sich komisch an. Kein Wunder: ich habe versucht, mit dem Porsche Schlüssel zu starten. Bäh. Kein Problem, den richtigen Schlüssel reingesteckt, und der V8 fängt wieder munter an zu brabbeln.
Sprit im Tank und freie Bahn, hurra! Wir geben den 333 Pferdchen die Sporen. Bei 140 Kick-down und zusehen, wie der Tacho ohne Umschweife Richtung 220 wandert, das hat was, dazu der kernige Sound und das fantastische Fahrwerk! Junge Junge, seit dem E38 hat sich doch technisch sehr viel getan. Die Bremsen packen übrigens auch munter zu, genauso wie es sich gehört.
Trotzdem fehlt etwas. Es läßt sich nicht genau beziffern, aber irgendwie ist das 6er Coupe einfach kein Sportwagen. Abgesehen von der hohen Sitzposition und dem vielen Platz im Auto fehlt eine gewisse Dramatik, es ein Hauch von Leidenschaft, es fehlt das Gefühl, ein wirklich unvernünftiges Auto zu fahren, denn dazu ist der 6er viel zu gut. Klar, ok, der Blick auf den Verbrauch mit 13,8l ist ein Unvernunfsindikator, aber ein hoher Verbrauch allein bedeutet noch lange kein Benzin im Blut.
Bei der Rückgabe stehe ich eine Weile im VW Autohaus herum und betrachte wahnsinnig teure Autos, mit denen ich wirklich überhaupt nichts anfangen kann. Irgendwie dämmert es mir: der BMW hat vom Fahrerlebnis fast mehr mit dem VW Polo meiner Mom gemein hat als mit meinen beiden betagten Boliden.
Der Vergleich mag unfair erscheinen und hat sicherlich viel mit dem
Vorhandensein einer Unmenge grauenhafter Plastikoberflächen zu tun,aber:
Jaguar baut Autos, die hinreißend schön und immer ein bisschen skurril sind, ohne Anspruch auf Perfektion. Man muß sie liebhaben, um mit Ihnen leben zu können, aber einmal gefahren gehen sie einem nicht so schnell aus dem Kopf.
Porsche hat zwar den Anspruch von Perfektion, erfordert aber von dem Fahrer eine gewisse Leidensfähigkeit, die mit einem einzigartigen Fahrerlebnis mehr als kompensiert wird und den Fahrer wie eine Droge in seinen Bann zieht.
Und auch der alte E38 V12 hat etwas besonderes an sich. Diese gewisse Schwerfälligkeit mit dem tiefen Eintauchen des Fahrwerks bei Lastwechseln, das unheimliche Drehmoment, der Luxus der Ausstattung.
Der 6er ist kein schlechtes Auto, im Gegenteil. Er verwandelt die
Autobahn in eine Art Arcade Racing Game. Und dieser Vergleich trifft es vielleicht am besten: hohe Beschleunigung, ein Wahnsinnsdrehvermögen, sehr gute Bremsen und eine absurde Kurvenlage bei gleichzeitigem Fehlen einer authentischen Auseinandersetzung mit dem Auto.
Er ist mehr Need 4 Speed als Forza 4, er verführt zum Rasen, er bettelt darum, getreten zu werden. Der E38 animiert aufgrund seiner Schwerfälligkeit zu einer eher gemächlichen Gangart, beim Porsche Boxster hängt man den Ellenbogen raus und cruist im hohen Gang, den wummernden Boxer im Rücken.
Der 645 hingegen macht vor allem dann Spaß, wenn er seine Vorzüge auspielen darf, und das heißt mit 250 über die Autobahn knallen. Ein M6 würde meinen eigentlich sehr gesitteten Fahrstil vermutlich vollends ruinieren.
Ich würde meinen Porsche nie gegen einen 6er tauschen, denn einen offenen Porsche kann man nur durch einen offenen Porsche ersetzen.
Als Nachfolger für den 7er hingegen kann ich mir ein 6er Coupe durchaus vorstellen – aber bitte in schwarz und mit einer Individual
Volllederaustattung in Merino Platin samt Alcantara Dachhimmel. Logic 7 und Headupdisplay sind ebenfalls Pflicht, und natürlich dieses geniale Fahrwerk.
Interessanterweise hat sich der Vorbesitzer meines Fuffis für einen 650i als Nachfolgemodell entschieden…
Liebe Grüße,
John
Mein Blog: fahrberichte.vorwerkz.com