W12. Wer dieses Typenschild im Rückspiegel auftauchen sieht, umrahmt von einem mächtigen Singleframe, der tut wahrscheinlich zwei Dinge. Erstens: Zügig die linke Spur räumen und zweitens an den Luc Besso-Kracher Transporter-The Mission denken. Kann ersterer Impuls je nach verfügbarer Eigen-Power unter der Haube mal mehr mal weniger heftig ausfallen, sollte die Erinnerung an den fetten A8 mit Jason Statham hinterm Steuer bei jedem Autofan ähnlich vehement aufblitzen. Unvergessen die Verfolgungsjagd durch Miami mit anschließendem Sprung vom Parkdeck.
Zwei Jahre ist die Action her, der größte Ingolstädter seit 2005 Jahren unverändert im Angebot. Zum Modelljahr 2008 gibts jetzt ein Facelift und einen neuen Einstiegsbenziner (2.8 FSI, 210 PS). Dem kleinen und laut Audi unverschämt sparsamen V6 werde ich allerdings keine weitere Aufmerksamkeit schenken, mich stattdessen mit vollem Herzblut der Neuauflage des Kinohelden beschäftigen: dem W12.
Schon beim ersten Rundum-Optik-Check fallen die 2008er-Modifikationen auf: Im Singleframe glänzen jetzt doppelte vertikale Chromstäbe, in den Außenspiegeln zeigen LED-Blinker den Weg, an den Türgriffen gibts Chromapplikationen und am Heck prangen jetzt Rückleuchten mit jeder Menge LEDs. Witzig: Jede der 58 Dioden hat einen eigenen Reflektor.
Soweit zur Pflicht doch jetzt die Kür: Dem Check des 450 PS starken Sechsliter-W12 und den damit verbundenen Fahrleistungen, die auf den Straßen rund um München auszuloten sind. Hoffentlich ist den Audi-Mannen bewusst, dass wir auch vor großen Tieren nicht mehr Respekt haben, als vor aufgeblasenen Kompakten. Was zählt sind Kult-Potenzial und Sportlichkeit! Ich beginne meinen Ausritt im zwei Tonnen schweren Allrad-Schlachtschiff A8L 6.0 W12 am Flughafen Franz-Joseph-Strauß, in dessen Umfeld uns die dutzenden 120er-Schilder selten so genervt haben wie heute. Es ist zum Ko
! Doch was will man machen!? Gemächlich zuckel ich in Fahrstufe D dahin. Kein Geräusch dringt ins Cockpit, vom riesigen VR6-Doppelpack unter der Haube ist nicht einmal ein Grummeln zu vernehmen. Jetzt reichts! So geht es nicht weiter. Ich gehe vom Gas, lasse mich zum Leidwesen des nachfolgen Verkehrs zurückfallen, schalte per Lenkrad-Paddel drei Gänge zurück und hau das Pedal aufs Blech. Der Zwölfender erwacht zum Leben, der Allradantrieb krallt sich in die regennasse Fahrbahn und der Zwischensprint auf irgendwo jenseits der 140 drückt mich elegant aber doch beherzt in den Multikontursitz. Die Kraftentfaltung hat etwas Gewaltiges und trotzdem Unauffälliges. Wie hieß es früher bei Bentley auf die Frage nach der Power: Ausreichend. Wohlwissend, dass das gnadenlos untertrieben ist. Sicher, der Power-Bruder des W12 der S8 (V10, 450 PS, 540 Nm) - ist noch aggressiver, sein V10 donnert extrovertierter. Mehr Prestige und Coolness versprüht jedoch das bayerische Schlachtschiff mit dem in dieser Form einzigartigen Zwölfzylinder.
Runter von der BAB und ab auf die Landstraßen rund um Edes Reich. Gänzlich entspannt und sprichwörtlich sänftenartig schwebe ich von Dorf zu Dorf, vorbei an altbackenen Pseudo-Almhütten und spießigen Vorgärten mit 3-cm-Rasen. Ich ignoriere die verführerischen Schaltwippen hinter dem Lenkrad und lasse die Sechsgang-Automatik ihre Arbeit tun. Die Gangwechsel gehen sehr sanft, aber mitnichten unbemerkt von statten. Wer zwischen zwei Gängen hängt, bleibt auch im A8 nicht von ständigem Hoch- und Runter-Wechseln verschont. Mit einer Hand am MMI, der anderen am Handy und voll beschallt vom Bose-Soundsystem bin ich der König der Landstraße und verstehe nun Menschen entschieden besser, die 124.300 Euro für den sportlichen Prestige-Hammer auf Rädern ausgeben. Also wenn schon Luxus-Limo, dann diesen Brummer.
Nach einem kurzen, weil verregneten Fotostopp, warte ich auf eine Lücke im schnell fließenden Landstraßenverkehr. Da ist sie. Sie ist sehr klein, aber sie ist da. Lenkrad einschlagen, Pedal aufs Blech und rein. Der quattro zieht den Dicken vehement in die Spur, die Tachonadel rennt erschreckend schnell nach rechts und ich muss aufpassen, dass ich nicht aus dem Stand gleich die nächsten 15 Wagen überhole. Sowohl Front- als auch Hecktriebler hätte angesichts des Drehmoments von 580 Nm und der regennassen Straße sicher ihre liebe Not. Beim unumgänglichen und resoluten Bremsmanöver, das mich auf annähernd Landstraßentempo verlangsamen soll macht sich das Kampfgewicht des 5,19 Meter langen Audis bemerkbar. Zwar packen die riesigen 385er Scheiben (hinten: 356mm) kernig zu, das Lenkrad zuckt und ruckelt allerdings so heftig, dass es eines extrem festen Griffs bedarf.
Die Zeit verfliegt und schon muss ich den schicken Schwarzen zurückgeben. Ich mache mich auf den Heimflug gen Norden und grüble schon im Flieger, in welcher der vielen DVD-Mappen im EVOCARS-Archiv sich denn Transporter - The Mission versteckt hat. Wollen doch mal sehen, was der W12 noch so alles auf dem Kasten hat.