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Testbericht

Wolfgang Wieland/SP-X, 12. November 2021
SP-X/Tegernsee. Nobel, nobler, Rolls-Royce. Kaum eine Automobilmarke ist so exklusiv, so extravagant, so geheimnisvoll, wie die der Manufaktur aus Goodwood, rund 100 Kilometer südwestlich von London gelegen. Auch die aktuellen Modellnamen Phantom, Ghost, Wraith, Dawn, Cullinan und demnächst auch Spectre können exzentrischer nicht sein. Jahrzehntelang wurden sogar erfolgreich die Pferdestärken von früheren Modellen wie Silver Shadow, Silver Cloud, Silver Spirit & Co. verheimlicht, lediglich ein „die Motorleistung ist ausreichend“ war stets die nichtssagende Antwort.Äußerst exklusiv ist auch die Anzahl der Händler zwischen Flensburg und Garmisch. In Deutschland gibt es gerade einmal vier Verkaufsstellen und wenn man über Städte mit erhöhter Anzahl von Millionären nachdenkt, also Urbanisationen mit potenziellen Kunden dieser britischen Luxus-Automobile, kommen einem unvermeidlich Hamburg und Düsseldorf in den Sinn. Überraschung: In beiden Städten gibt es keine Rolls-Royce-Händler. Die Hanseaten dürfen sich zum Erwerb auf den Weg nach Berlin machen, Düsseldorfer müssen schweren Herzens nach Köln. Dazu kommen noch zwei Showrooms in München und Radebeul bei Dresden. 2021 werden insgesamt etwas mehr als 5.000 der edlen Karossen produziert und verkauft. Rekord! Rund 150 davon gehen an deutsche Kunden. Vor gar nicht allzu langer Zeit wurden weltweit jährlich nur rund 2.500 Rolls-Royce ausgeliefert.Wir starten unsere gediegenen Ausfahrten mit dem Ghost, dem meistverkauften RR-Modell aller Zeiten, zurzeit auch das aktuellste Modell der Engländer und zu Preisen ab rund 300.000 Euro zu haben. Wie alle anderen Rolls-Royce auch, wird der Ghost in Goodwood per Hand gefertigt – mehrere hundert Arbeitsstunden werden hierfür benötigt. Imposante 5,55 Meter ist die Limousine lang, als Long-Wheelbase-(LWB)-Version mit langem Radstand sogar mit nochmals 22 Zentimetern mehr. Dieser Zuwachs kommt den Passagieren im Fond und ihrer Beinfreiheit zugute. Dabei ist der Ghost ja eher etwas für Selbstfahrer. Mit zwölf Zylindern, 6,75 Litern Hubraum, 420 kW/571 PS und 850 Newtonmetern Drehmoment wird das Volant kurzerhand zur Chefsache erklärt und der Chauffeur kann sich aufs Hochglanzpolieren der Kühlerfigur „Spirit of Ecstasy“ konzentrieren. „Emily“ sagen, warum auch immer, nur die Deutschen, zu der wohl schönsten Kühlerfigur der Welt. Die Legende besagt, dass die britische High-Society-Lady Eleanor Velasco Thornton, genannt Thorn (Dorn), dem Bildhauer Charles Sykes Modell gestanden haben soll. Übrigens: Als Diebstahlschutz, der bei bösen Menschen und Souvenirjägern äußerst beliebten „Spirit of Ecstasy“, verschwindet diese blitzschnell im Inneren des monumentalen Kühlergrills, sobald das Fahrzeug abgestellt oder an ihr unsanft gerüttelt wird.Schon beim Einsteigen in den Luxustempel erfreuen wir uns über ein komfortables Detail: Die schweren Türen, die hinteren öffnen sich auch hier, wie beim großen Bruder Phantom, gegenläufig, werden per Knopfdruck elektrisch geöffnet und auch wieder verschlossen. Äußerst romantisch wirken die über 1.300 kleinen LED-Lämpchen, die als Sternenhimmel über unseren Köpfen funkeln, ab und zu entdeckt man auch eine vorbeischießende Sternschnuppe. Zum Starten des Triebwerks wird links vom Lenkrad der Start-Stopp-Knopf gedrückt. Stellung D für das Automatikgetriebe legt man mit dem filigranen Hebel auf der rechten Seite hinterm Lenkrad durch Drücken nach unten ein. Sehr dezent und pures Understatement ist der hier integrierte Low-Button, der den Sportmodus aktiviert. Hierbei wird nicht nur das Ansprechverhalten, sondern auch der Sound der doppelflutigen Auspuffanlage geschärft.Sanftes, nahezu lautloses Gleiten ist die ganz große Stärke des Ghost, aber der Gasfuß bestimmt das Vorgehen und so kann man, ganz unvornehm, mit komplett heruntergedrücktem Gaspedal den Standard-Sprint von null auf 100 km/h in sportwagenmäßigen 4,8 Sekunden erreichen. Die Höchstgeschwindigkeit wird bei 250 Stundenkilometer elektronisch begrenzt. Erstaunlicherweise erscheint einem die 2,5-Tonnen schwere Limousine bei Kurven und Serpentinen rund um den malerischen Tegernsee, vorbei am Golfclub von Bad Wiessee und dann Richtung Schliersee bis zum Tiroler Festspielhaus in Erl äußerst leichtfüßig, auch im engen Kreisverkehr zieht er sicher und ohne quietschende Reifen seine Bahn. Unser Testwagen kostet knapp 428.000 Euro, ist ganz offensichtlich äußerst großzügig ausgestattet. Die seltene Außenfarbe, genannt Witterings Blue, wirkt besonders edel und das extra zarte Leder verwöhnt in den Farbtönen Arctic White und Navy Blue.Seit geraumer Zeit ist bei den noblen Briten schwarz besonders beliebt, genauer gesagt die Black-Badge-Varianten der einzelnen Baureihen. Auch der neue Ghost ist jetzt damit verfügbar und mit unzähligen Lackschichten wird dieses Schwarz zum schwärzesten Schwarz, dass es in Autohäusern zu erwerben gibt. Auch die Leistung der RR-BB wird angehoben, beim Ghost sind es nun 441 kW/600 PS und 900 Newtonmeter Drehmoment. Der Preis startet bei 359.380 Euro.Noch etwas edler, noch etwas feiner und auch noch etwas teurer ist das langjährige Spitzenmodell Phantom, das mit einem Testwagenpreis von rund 560.000 Euro in einer exklusiven Ausstattung und dem wohl schönsten dunkelgrün, namens Dark Emerald, vor uns steht. Mit einer Länge von 5,76 Meter gibt es vor allem in der zweiten Sitzreihe noch viel mehr Beinfreiheit. Die Motorisierung ist identisch zum Ghost, allerdings mit 900 Newtonmeter maximalem Drehmoment. Trotzdem sind die Fahrleistungen wegen der 200 Kilogramm Mehrgewicht um ein paar Zehntelchen schlechter. Ein einmaliger Hochgenuss ist es, nachdem auch hier die Türen elektrisch verschlossen wurden, Schuhe und Strümpfe auszuziehen und mit den nackten Füßen über die wahnsinnig flauschigen und hochfloorigen Fußmatten aus feinster Lammwolle zu gleiten.Nicht nur Freunde von Baby-Schafen, sondern auch Freunde von Eichhörnchen müssen jetzt stark sein und ihr Kopfkino besser nicht einschalten, denn bei Rolls-Royce gibt es einen speziellen Beruf, den Coachline Painter. Ein hochqualifizierter Pinsel-Künstler, der per Hand meterlange und kerzengerade Linien von den vorderen Kotflügeln, dann oberhalb der Türgriffe bis nach hinten zieht. In seiner Hand ein Pinsel aus Eichhörnchenborsten.Rolls-Royce fahren heißt auch wegschauen lernen. Wildes gestikulieren oder gar hupen sind nicht standesgemäß, auch nicht, wenn vorwegfahrende Automobilisten Fahrfehler begehen oder gar sinnlos trödeln und somit die noblen Herrschaften aufhalten sollten. Rolls-Royce fahren entschleunigt auch ungemein, die Souveränität dieser Fahrzeuge, die schier endlose Kraft des Zwölfzylinders, die Ruhe hinter der panzerartigen Doppelverglasung und die einmalig hochwertige Verarbeitung lassen einen ein unbeschreiblich erhabenes Gefühl erleben.Und, wo geht die Reise hin? Wie sieht die Zukunft von Rolls-Royce aus? In den letzten Wochen des Jahres 2023 wird ein neues Modell vorgestellt, der Spectre (Gespenst). Die Luxuslimousine, wahrscheinlich mit einer abfallenden Coupé-Linie, wird das erste reinelektrische Fahrzeug der Briten werden. Damit die anspruchsvolle Kundschaft auch auf diesen Zug aufspringt, soll der E-Antrieb ein besonderer sein. Man spekuliert von bis zu vier Elektromotoren und, so soll es im Lastenheft stehen, der höchsten Reichweite, die jemals in einem Elektrofahrzeug verbaut wurde. Wir bleiben mit vornehmer Zurückhaltung gespannt.Geld allein macht bekanntlich nicht glücklich. Das richtige Auto mag aber hin und wieder helfen. Auf der Suche danach fangen wir ganz oben an.
Fazit
Geld allein macht bekanntlich nicht glücklich. Das richtige Auto mag aber hin und wieder helfen. Auf der Suche danach fangen wir ganz oben an.

Quelle: Autoplenum, 2021-11-12

Getestete Modelle
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